Hölle und Verdammnis
Die Hölle ist ein biblisches Thema, über das selten gesprochen wird. Und noch seltener wird es in Predigten behandelt. Denn wer von der Hölle redet, wird allzu leicht missverstanden – so als wollte er anderen Angst einjagen. Die es hören finden aber, dass sie sich vor anderen Dingen schon genug fürchten. Und so wird ihre Abneigung, über die Hölle nachzudenken, sehr bald zu einer Abneigung gegen den, der sie damit behelligt. Aus dem verständlichen Wunsch, die Hölle zu meiden, vermeidet man es, sie zum Thema zu machen. Und so reden die Theologen lieber von etwas Erfreulichem. Denn was soll es auch bringen, den Teufel an die Wand zu malen? Wer ernst nimmt, was die Bibel über die Hölle sagt, muss sie wahrscheinlich nicht fürchten. Und wer es nicht ernst nimmt, lernt sie noch früh genug kennen. Die etwas von der Verdammnis wissen, sind vermutlich gläubige Leute, denen die Verdammnis nicht droht. Und die anderen, denen die Verdammnis wirklich droht, glauben sowieso nicht dran, bevor sie drinstecken. Die einen betrifft es nicht, weil sie das Evangelium kennen. Und die anderen interessiert es nicht, weil sie dem Evangelium nicht glauben. Was soll man also lange drüber reden?
1.
Schon die simple Frage, ob’s die Hölle denn „gibt“, macht seltsam große Schwierigkeiten. Eigentlich müsste die Frage leicht zu klären sein, weil im Neuen Testament so viel von der Hölle geschrieben steht. Aber gerade die Theologen sind es, die sich von Gottes Wort nicht überzeugen lassen. Jesus redet zwar dauernd von der Hölle. Aber „Was weiß denn schon Jesus!“, scheine sie zu sagen. Allein im Matthäusevangelium spricht Gottes Sohn an sechs verschiedenen Stellen von der „Hölle“ (Mt 5,29; 5,30; 10,28; 11,23; 16,18; 23,15) und an zwei Stellen von der „Verdammnis“ (Mt 7,13; 23,33). Weiter spricht er zweimal von denen, die hinausgeworfen werden in die Finsternis, wo Heulen und Zähneklappern ist (Mt 8,11-12; 22,12-13) und auch noch zweimal von denen, die im Feuerofen landen (Mt 13,41-42; 13,49-50). Jesus redet von der Verdammnis der Heuchler und der unnützen Knechte (Mt 24,48-51; 25,27-30). Er lässt keinen Zweifel daran, dass die törichten Jungfrauen am Ende von der himmlischen Hochzeit ausgeschlossen bleiben (Mt 25,10-12). Und auch in der Rede vom Weltgericht über die Völker wird den Verfluchten gesagt, dass sie weggehen sollen in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln (Mt 25,41-42). „Aber, hey“, sagen moderne Theologen – „Wer ist denn schon Jesus? Was weiß der davon? Was bedeuten schon 16 Belege allein bei Matthäus?“ Im übrigen Neuen Testament kommen noch 20 weitere Stellen hinzu, die entweder von der Hölle reden oder vom nie verlöschenden Feuer, von der Verdammnis oder vom feurigen Pfuhl, der mit Schwefel brennt, von ewigem Verderben und dunkelster Finsternis (Mk 9,43; 9,45; 9,47-48; Lk 10,15; 12,5; 16,23-26; 2. Petr 2,4; Jak 3,6; Phil 3,19; 2. Thess 1,6-10; 2. Petr 2,1-17; Offb 1,18; 6,8; 17,8; 17,11; 19,20; 20,10; 20,14; 20,15; 21,8). „Aber was soll’s, das ist ja nur Gottes Wort! Was versteht schon die Bibel davon, was wir aufgeklärten Geister nicht besser wüssten?“ So sehen sie nicht, was sie nicht sehen wollen – und alle Argumente sind vergebens. Denn ein Christ, der auf biblischem Boden steht, brauchte nicht 36 neutestamentliche Stellen, um von der Existenz der Hölle überzeugt zu sein. Und jene anderen würden es auch dann nicht glauben, wenn’s 300-mal geschrieben stünde. Die werden vom Dasein der Hölle erst überzeugt sein, wenn sie den Check-In hinter sich haben und mit beiden Füßen drinstehen.
2.
„Aber, aber“, hört man da andere rufen, „ist unser Gott nicht ein Gott der Liebe? Wie passt denn dazu die Hölle? Ist das nicht der Inhalt des Evangeliums, dass Gott zu allen grenzenlos „lieb“ ist? Und folgt daraus nicht, dass alles Gerede vom Zorn Gottes und von den Höllenstrafen ein Irrtum sein muss – eine Drohkulisse, mit der die katholische Kirche Menschen erschrecken wollte, also bloß eine schlimme Erfindung des Mittelalters, mit der Luther zum Glück aufgeräumt hat?“ Nein, und dreimal „nein“. So populär das sein mag, und so menschenfreundlich es auch wirkt, ist es doch historisch und theologisch falsch. Denn die gute Botschaft des Neuen Testaments lautet keineswegs, dass es keine Hölle gäbe, sondern dass uns der Glaube die Hölle ersparen kann. Das Evangelium sagt nicht, dass es keine Strafen Gottes gäbe, sondern dass Christus sie stellvertretend für uns getragen hat. Da steht nicht, dass der Teufel nicht existierte, sondern dass er über Christen keine Macht hat. Da steht nicht geschrieben, dass Gott nicht zürnte, sondern dass man erfolgreich von seinem Zorn zu seiner Gnade fliehen kann. Und das ist nun mal eine völlig andere Botschaft, wenn ich erkläre, wie man einer realen Gefahr sicher entgehen kann, als wenn ich behaupte, es gäbe diese Gefahr gar nicht und habe sie auch nie gegeben. Dies Letztere ist nicht das Evangelium Jesu, sondern eine völlig andere Botschaft, die auch davon nicht richtiger wird, dass zahllose Kirchenvertreter sie lauthals verkünden. Man kann leicht zeigen, wie falsch sie ist! Aber will‘s denn jemand hören, der sich vor der Hölle nur sicher fühlt, wenn er glauben darf, es gäbe sie nicht?
3.
Viele Menschen wünschen sich und wollen um jeden Preis, dass die Bibel diesbezüglich Unrecht hat. Und so sagen sie dann: „Naja, auch wenn’s geschrieben steht – das ist doch trotzdem gemein und übertrieben, wenn Gott zeitliche Sünden mit ewigen Strafen ahndet! Gerät Gott nicht in ein zweifelhaftes Licht, wenn er scheinbar an endlosen Qualen Freude hat?“ Mit erhobenem Zeigefinger ermahnen sie Gott, er solle doch etwas „humaner“ sein! Und damit verdrehen sie wiederum die Tatsachen. Denn tatsächlich landen die Verdammten nicht in der Hölle, weil Gott sie dort sehen wollte, sondern weil sie seine Einladung in den Himmel ausgeschlagen haben. Oder waren nicht genug Prediger unterwegs, die ihnen den Weg in den Himmel zeigen wollten? Haben sie das Evangelium etwa nicht hören können? Und hat dieses Evangelium nicht auch dem größten Sünder Vergebung in Aussicht gestellt, wenn er sich denn nur bekehren wollte? Wenn sie das aber hörten und lachend von sich wiesen – wer ist dann für die Folgen verantwortlich? Sie konnten der Bibel klar entnehmen, welche Folgen ihr Tun haben würde. Und der Hinweis auf Gottes Gnade stand auch gleich dabei. Vielen hat man die Gnade förmlich aufgedrängt und hinterhergetragen! Doch sie wollten das Geschenk nicht annehmen. Und so gesehen sind in der Hölle nur Freiwillige. Man hat ihnen den besseren Weg gewiesen, der direkt in den Himmel führt. Sie aber haben voller Spott das rettende Angebot ausgeschlagen. Trotz der freundlichen Einladung wollten sie nicht zu Gott kommen – jedenfalls nicht zu seinen Bedingungen! Und folglich sind sie nun freiwillig in der Hölle. Gott wollte sie da durchaus nicht sehen. Deshalb rief er ja zur Umkehr! Er erklärte, dass er sie verdammen müsse, wenn sie nicht umkehrten, und bekannte zugleich, dass er‘s nur ungern täte. Er bot ihnen eine tolle Alternative voller Nachsicht und Barmherzigkeit! Sie aber (als ob sie ihr Unglück suchten!) hielten an dem fest, was zum Unglück führt, und wurden damit zur Ursache ihrer eigenen Leiden, wie Richard Baxter das einmal treffend beschrieben hat. Angeblich wollten sie nicht in der Hölle brennen, taten aber trotzdem alles, was sie dahin bringen muss, und handelten damit so widersinnig, wie wenn einer sagte: „Ich schlucke zwar hier dieses Rattengift, aber dran sterben will ich nicht. Ich springe zwar kopfüber von der Spitze eines Turms, aber das Genick brechen möchte ich keineswegs. Ich steche mir ein Messer ins Herz, würde aber doch gern am Leben bleiben. Ich lege Feuer in meinem eigenen Haus, aber wenn ich verbrenne, soll Gott schuld sein, weil er mich am Zündeln nicht gehindert hat.“ Ist das nicht absurd? Mir scheint, wer das Unrecht bejaht, aus dem gerechte Strafe folgt, der bejaht damit auch die Strafe. Wurde er aber beizeiten gewarnt – ist es dann „unfair“ von dem Polizisten, oder „gemein“ von dem Richter, dass sie ihn seiner Strafe zuführen? Kann denn einer Tag für Tag den Weg gehen, den er sich ausgesucht hat, und dann, wenn sein Weg ihn an ein hässliches Ziel führt, darüber klagen, dieses hässliche Ziel habe er nicht erreichen wollen? Kann einer ins Wasser fallen, alle Stangen wegstoßen, die man ihm zur Rettung hinhält, und dann jammern, dass er ertrinken muss? Man hat doch den Eindruck, dass er‘s so will! Und gleiches gilt von jenen, die das Evangelium beiseite schieben, um weiter ungehindert der Verdammnis entgegenzugehen.
4.
Worin besteht dann aber ihre Qual? Und wie ist das so – in der Hölle? Es liegt mir fern, eine ungesunde Neugier zu befriedigen, wie das Gemälde vom Jüngsten Gericht manchmal tun. Die haben oft Lust am Schrecklichen und illustrieren die Hölle viel genauer, als es die Bibel für nötig hält. Soviel dürfte aber sicher sein, dass der Mensch nicht nur auf Erden, sondern auch in der Ewigkeit eine leib-seelische Ganzheit bildet – und dass dementsprechend auch die Leiden der Verdammten zugleich körperlicher und seelischer Art sind. Bei der Auferstehung zum Gericht werden die Seelen mit unvergänglichen Leibern verbunden. Und so werden die Freuden des Himmels ebenso eine körperliche Seite haben wie die Qualen der Hölle. Doch wie es nicht zuerst leibliche Genüsse sind, die den Himmel zum Himmel machen, sondern die beseligende Gemeinschaft mit Gott, so darf man annehmen, dass auch die Hölle nicht in erster Linie durch leibliche Entbehrungen zur Hölle wird, sondern durch das seelische Leid dessen, der sich von der beseligenden Gemeinschaft mit Gott ausgeschlossen weiß – und zugleich weiß, dass er sich selbst davon ausgeschlossen hat. An Feuer, Finsternis und Schmerz wird es nicht fehlen. Aber das eigentlich Quälende der Hölle dürfte doch sein, immer neu den Widerspruch zu erkennen, den ich als Sünder nicht nur denke, sondern der ich selbst „bin“. Und dieser innere Widerspruch wird es sein, der da peinigt: Weil in der Liebe Gottes alles liegt, was wir ersehnen, und wir sie doch nicht ertragen. Weil wir den Schöpfer verneinen, der uns bejaht hat, und wiederum das Böse bejahen, das uns zerstört. Weil wir die Tür selbst zugeschlagen haben, und es doch hassen, draußen zu stehen. Ja, weil jeder für sich ein Knoten ist, den er selbst nicht lösen kann, wir aber den Einzigen, der es gekonnt hätte, weit von uns stießen. In der Hölle ist der Mensch ein Irrender, der sehenden Auges seinen Irrtum nicht zugeben will, der durch falsches Beharren eben jenes Unglück verschuldet, das nun seine Identität ausmacht, und der auch nicht aufhören kann, als „Person-gewordenes-Unglück“ im Spiegel das eigene Unglück zu beschauen. Da hört man nicht auf, in Falschen zu beharren. Und das ist dann der eigentliche Grund, weshalb die Höllenqual nicht endet, dass sich der Sünder auch im Bewusstsein seiner Verkehrtheit doch weiter gegen Gott auflehnt. Er ist gar nicht so sehr Gottes oder des Teufels „Gefangener“, sondern kann selbst nicht von dem lassen, was ihn foltert. In törichtem Trotz will er seinen Eigenwillen gegen Gott behaupten. Er weiß zugleich, dass es ihm nie gelingen kann. Und so steckt er in diesem Widerspruch fest, der bloß darum ewig ist, weil er selbst ewig dran festhält. Das ist der „Wurm“, der an seinem Gewissen nagt, dass er sich mit seinem Eigensinn im Unrecht weiß und klar sieht, was das Ziel gewesen wäre: Er hat Gott verfehlt! Nun aber kann er Gott nicht mehr erreichen und kann ihn zugleich nicht loswerden, kann die Beziehung zu ihm nicht mehr heilen, wird aus dieser Beziehung aber auch nicht entlassen, und müht sich so im Wissen um die Sinnlosigkeit aller Mühen. Er streitet mit Gott ohne je siegen zu können, und fühlt drückende Schuld ohne Hoffnung auf Vergebung. Er kann Gott ebensowenig akzeptieren wie loswerden – und verharrt unentrinnbar in seinem Missverhältnis zum Wahren und Guten. Alles, was er in der Hölle erlangen kann, erkennt er im selben Moment als wertlos. Und alles, was er als wertvoll erkennt, kann er in der Hölle nicht mehr erlangen. Während aber irdisches Leid durch die Gewissheit gemildert wird, dass der Tod es beendet, wird höllisches Leid dadurch verschärft, dass seine einzige Perspektive die Fortsetzung ist – als ewige Repetition eines Satzes, aus dem (nun!) nichts mehr zu lernen ist. Alle Illusionen sind dahingefallen, aber das nützt nichts mehr. Denn der Tod verewigt uns genau als die, die wir im Leben waren. So wird die Hölle nichts von dem Guten enthalten, das uns Freude schenkt, Licht oder Trost – sie wird aber alles enthalten, was uns bis zur Verzweiflung traurig macht und in Angst versetzt. Und nur die eine Ergänzung ist noch wichtig, dass wir uns diese Hölle selbst antun. Denn die „Theologia deutsch“ sagt völlig zu Recht, dass in der Hölle nichts anderes brennt als nur der verkehrte Eigenwille. Und hätte der Mensch bloß diesen seinen Willen nicht von Gott abgespaltenen und ihn damit dem Willen Gottes entgegengesetzt, so existierte auch keine Hölle. Denn anders zu wollen als Gott will, das ist recht eigentlich die Hölle selbst – wie umgekehrt die volle Übereinstimmung mit Gott der Himmel ist und unmittelbar in den Himmel versetzt. Ja, ein mit Gott entzweiter Mensch trüge die Hölle überall in sich selbst, auch wenn er sich im siebten Himmel befände, während man umgekehrt einen mit Gott versöhnten Menschen getrost in die Hölle verpflanzen könnte. Die würde ihm nicht schaden, denn er trüge Gottes Reich auch dort in sich und befände sich dementsprechend wohl.
5.
“Aber hat Gott denn kein Mitleid?“ Das ist der letzte Trumpf, der gezogen wird. Und natürlich wird die Frage mit einem Unterton der Empörung vorgebracht: „Sollte Gott nicht Mitleid haben mit denen in der Verdammnis? Und wenn sie auch falsch gelebt haben – muss er denn so nachtragend sein? Kann er nicht einfach akzeptieren, dass sie sich gegen ihn entschieden haben, und ihnen diese Freiheit lassen?“ Ja, das kann er – und tut es auch. Aber genau das ist ja das Problem! Denn nur weil Gott uns die Freiheit lässt, gegen ihn und fern von ihm sein zu können, nur darum gibt‘s die Hölle. Und solange Menschen ihre Freiheit auf so fatale Weise nutzen, sehe ich auch nicht, wie sie verschwinden könnte. Denn Gott selbst ist der Inbegriff und die Quelle des Guten, des Lichtes, der Wahrheit und der Liebe. Und wenn er respektiert, dass ein Mensch ihn ablehnt, erlaubt er ihm damit, seinen Standort in maximaler Entfernung einzunehmen – nämlich maximal entfernt von allem Licht, aller Wahrheit und aller Liebe. Und von alledem weit entfernt zu sein, eben das ist die Hölle. Denn die Strafe für die Trennung vom Guten ist nun mal, von allem Guten getrennt zu sein. Gott hat jede Menge Mitleid mit denen, die sich in diesen Zustand bringen. Darum lädt er ja alle zu sich ein und freut sich über jeden, der den Weg findet! Aber wäre das wirklich „Mitleid“, die Freiheit der Widerstrebenden zu brechen und sie an den Haaren in den Himmel zu zerren? Wäre das „Mitleid“ – und wäre es ihnen überhaupt recht –, wenn der Gott, dem sie ein Leben lang ausgewichen sind, ihnen nach dem Tod seine Nähe aufzwingen wollte? Sie wünschten sich immer von Gott befreit und „autonom“ zu sein – und sie durften das auch, so wie dem „verlorenen Sohn“ erlaubt wurde, in der Fremde verloren zu gehen. Aber von Gott befreit zu sein heißt nun mal, von allem Guten befreit zu sein. Und das ist „Hölle“. Warum fordert man also „Mitleid“? In maximaler Entfernung von Gott bekommt der Sünder seinen Willen. Er wird von Gottes Liebe nicht weiter belästigt. Und da er haltlos sein wollte, darf er nun so tief fallen, wie er mag. Aber wenn’s das war, was er wünschte – wie kann man dann sagen, Gott habe kein Mitleid? Will so ein Mensch denn bloß seine Freiheit, nicht aber ihre Konsequenzen? Erwartet er, er könnte Dummes tun, ohne hinterher „dumm dazustehen“? Wenn ihm aber die Regeln, die im Himmel gelten, sowieso nicht gefallen – warum jammert er dann, er dürfte nicht hinein? Gott hätte ihm gern einen Platz reserviert. Aber er hat nicht gewollt. Und jetzt, nachdem sich das Zeitfenster für Entscheidungen geschlossen hat, jetzt heißt es, Gott habe kein Mitleid? Weil Gott respektiert, was einer aus seiner Freiheit macht, soll er nun gemein sein? Und dass er die Widerstrebenden nicht zwangsbeglückt, macht man ihm zum Vorwurf? Das verstehe, wer will. Ich versteh’s nicht. Und so wünschte ich zwar allen Betroffenen, sie dürften, statt in der Hölle zu sein, einfach gar nicht mehr sein. Aber dass Gott ihnen Unrecht täte, lasse ich nicht gelten. Denn er verneint nur jene, die ihn verneinen. Und das kann man ihm kaum zum Vorwurf machen. Gott weiß, was er tut – auch in dieser Hinsicht. Wir Christen sollen uns deswegen aber nicht vor der Hölle fürchten. Sondern wir dürfen jenem Mann nachsprechen, der fröhlich sagte: „Ich bin mit Himmel versorgt“ (H. Müller). Um Christi willen sind wir als Christen „mit Himmel versorgt“ – und die Hölle geht uns nichts an. Denn Christus kam, auf dass sie uns nicht weiter kümmern müsse. Gott sei Dank bleibt er Sieger! Und so wollen wir auf ein Problem, das er längst für uns gelöst hat, keinen weiteren Gedanken verschwenden.
Heißes Eisen?
16.09.2022 19:43
Heißes Eisen?
16.09.2022 19:43
Heißes Eisen?
Gottes Gericht am Ende der Zeit
Wer sich viel mit älteren Menschen unterhält, weiß, wie nachhaltig der Krieg diese Generation geprägt hat und wie häufig die Kriegszeit in den Mittelpunkt der Gespräche tritt. Einige denken ganz gern an diese Zeit, denken an ihre Jugend und wie sie es geschafft haben, mit Fleiß und Geschick durch die harte Zeit hindurchzukommen. Da verklärt sich manches im Abstand der vielen Jahre. Doch gibt es auch die anderen, denen es nie gelungen ist, von diesen Ereignissen Abstand zu gewinnen. Es gibt Kriegsteilnehmer, die Nacht für Nacht von Alpträumen heimgesucht werden und schweißgebadet erwachen, weil ihnen das Morden nicht aus dem Kopf geht, weil sie die Schreie verwundeter Kameraden immer noch hören, weil sie die eigene Todesangst und die Angst um die Familie nicht loswerden.
Freilich – diesen Menschen wird gesagt, sie sollten doch endlich die alten Geschichten vergessen. Und sie täten es wohl selbst gern. Aber wenn sie abends im Bett die Augen schließen, sind die Bilder wieder da: Brennende Häuser und sterbende Soldaten, endlose Flüchtlingstrecks und Leichen am Straßenrand. Diese Leute werden nicht gesprächig, wenn es um den Krieg geht, sondern schweigsam. Denn ihre Erfahrungen eignen sich nicht als Anekdoten für die Enkelkinder. Sie waren gewissermaßen Augenzeugen einer biblischen Tragödie. Sie haben erlebt, wie Kain den Abel erschlug. Ja, sie waren selbst Kain oder waren selbst Abel, waren Gewalttäter oder Gewaltopfer oder beides – und sie werden damit nicht fertig. Ihre Erfahrungen rauben ihnen den Schlaf, weil sie spüren, dass Krieg, Mord und Gewalt mehr sind als bloße Zwischenfälle im normalen Betrieb der Weltgeschichte. Sie spüren, dass durch Mord und Gewalt die ganze von Gott gewollte Weltordnung aus den Fugen gerät. Sie spüren, dass der Krieg nicht bloß ein kleiner Riss ist im Gebäude unserer Welt, sondern etwas grundstürzend Falsches, wobei man sich einfach nicht beruhigen kann, etwas, das auch durch tausendfache Wiederholung nicht normal und nicht akzeptabel wird. Es sind dies sensible Menschen, es sind verstörte Menschen – und sie sind gerade durch ihr Verstört-Sein dem christlichen Glauben sehr nahe. Denn ich meine, sie empfinden, was auch Gott empfindet. Die Sache mit Kain und Abel lässt nämlich auch Gott nicht ruhen. Auch er leidet daran, dass jener erste Totschlag eine tiefe Unordnung in die Welt gebracht hat. Etwas, was man nicht auf sich beruhen lassen kann und das auch nicht mal so eben „vergeben und vergessen“ werden darf.
Gewiss, Kain wäre es so am liebsten gewesen. Er hätte die Angelegenheit gern schnell vergessen. Es steht zwar nicht ausdrücklich in der Bibel, aber ich vermute, er hat die Leiche seines Bruders auf dem Acker verscharrt, gleich dort am Ort der Tat. Und er hat wohl gehofft, damit sei die ganze Angelegenheit begraben. Doch dummerweise kommt einer, der sich für die Gewaltopfer dieser Welt interessiert. Gott kommt und fragt Kain: „Wo ist dein Bruder Abel?“. Kain ist dreist genug, Gott zu belügen. Und so antwortet er: „Ich weiß nicht“. Und weil Angriff die beste Verteidigung ist, fügt er noch ein freches Wortspiel an: „Soll ich des Hirten Hirte sein? – Soll ich meines Bruders Hüter sein?“. Ja, so redete Kain damals und so reden Kains Söhne bis heute. Denn die Gewalttäter aller Zeiten folgen seinem Beispiel. Immer wieder kommt es zu Bruderkriegen. Und nicht selten werden die Opfer irgendwo in Massengräbern verscharrt. Man verlässt sich darauf, dass wortwörtlich Gras über die Sache wächst, dass die Überreste der Opfer nicht gefunden und ihre Namen vergessen werden. Überall auf der Welt verfolgen Kains Söhne dieselbe Strategie wie ihr Stammvater. Sie schüchtern Zeugen ein, verwischen Spuren und hoffen, dass kein Richter sie je belangt. Sie rechnen mit der Vergesslichkeit der Weltöffentlichkeit – und diese Rechnung geht oft auf.
Ist das nicht unerträglich? Ich denke, es müsste uns allen mehr als eine schlaflose Nacht bereiten, dass die Frechheit der Täter so oft das letzte Wort behält und die Tränen der Opfer so oft ungesühnt bleiben. Oder können sie sich daran gewöhnen, dass die Mörder und Vergewaltiger, die Kinderschänder und Folterer dieser Welt so oft ungeschoren davonkommen? Können sie sich daran gewöhnen, dass so viele Opfer nicht rehabilitiert werden und keine Gelegenheit haben, als Ankläger gegen die Täter aufzutreten? Mir jedenfalls gelingt es nicht, darüber zur Ruhe zu kommen. Und darum bin ich froh, dass es da einen gibt, der nicht vergesslich und nicht gleichgültig ist, einen Richter, der nicht getäuscht und nicht umgangen werden kann. Und das ist Gott. Denn so lesen wir es im biblischen Text: Abel selbst war mundtot gemacht und verscharrt. Aber das Blut Abels schrie zu Gott von der Erde. Dieses eindrückliche Bild vom vergossenen Blut, das zum Himmel schrie, verweist uns auf den Umstand, mit dem Kain nicht gerechnet hatte: Mag man auch Menschen täuschen können, so kann man doch nichts verbergen vor Gott. Kein Grab ist so tief, dass Gott die Ermordeten darin nicht fände. Keine Gefängnismauer ist so dick, dass Gott die Schreie der Gefangenen nicht hörte. Keine Nacht ist so dunkel, dass sie die Täter vor Gottes Auge verbergen könnte. Gott zählt jede Träne, die eine Mutter um ihre Kinder weint. Er zählt jeden Schlag, der einen Unschuldigen trifft. Und das ist gut so. Denn das Leid, das Menschen Menschen antun, schreit zum Himmel wie Abels Blut zum Himmel schrie. Gott hört dieses Schreien – und das ist gut. Denn wer immer der irdischen Gerechtigkeit entgeht, wird doch von der himmlischen eingeholt. Mag sich einer auch dem internationalen Gerichtshof in Den Haag entziehen können, so wird er doch am Ende vor Gottes Richterstuhl landen. Und das ist gut so. Denn ohne Sühne kommt diese Welt nie wieder ins Lot. Darum bin ich ein Freund und Fürsprecher des Jüngsten Gerichts – auch wenn das seltsam klingt. Ich sehne den Tag des Gerichtes herbei, wenn Gott Kain und Abel aus der Erde erweckt, wenn er alle Täter und alle Opfer einander gegenüberstellt und durch seinen Richterspruch beiden Seiten Gerechtigkeit widerfahren lässt. Ich freue mich auf diesen Tag, denn den Tätern darf die Konfrontation mit ihrer Schuld nicht erspart bleiben, und die Opfer müssen wiederhergestellt werden durch Gottes Hand. Erst dann werden sich die Wunden schließen, erst dann finden die ruhelosen Geister Ruhe und die letzten offenen Rechnungen werden geschlossen.
Freilich, ich weiß, dass mancher sich wundert über meine Freude am Jüngsten Gericht. Denn wo bleibt da die Gnade Gottes, wo bleibt die Vergebung und die Barmherzigkeit, von der Jesus sprach? Doch irritiert mich der Einwand nicht. Ich meine nämlich, dass Jesu Verkündigung von der Vergebungsbereitschaft Gottes immer den Horizont des Gerichtes hatte – und ihn auch unbedingt brauchte, weil sie anderenfalls zynisch wirken würde. Wäre Gottes Gnade nicht Gnade im Gericht, sondern Gnade ohne Gericht, so bliebe den Tätern die Konfrontation mit ihrer Schuld erspart. Vergebung hieße dann, dass die Leiden der Opfer ignoriert, großzügig übergangen und dem Vergessen preisgegeben würden – Jesu Botschaft von der Vergebung wäre ohne den Horizont des Gerichtes eine zynische Botschaft. Denn man bedenke: Das Evangelium, das wir zu verkündigen haben, stellt auch dem größten Sünder die Möglichkeit der Begnadigung in Aussicht. Gottes Gnade ist groß genug sogar für einen Adolf Hitler oder einen Josef Stalin. Niemand ist so schuldig, dass ihm nicht um Christi willen vergeben werden könnte, wenn er sich im Glauben nach dieser Vergebung ausstreckt. Doch was wäre das für eine Vergebung, wenn sie über die Opfer einfach hinwegginge? Was wäre das für ein Gott, der angesichts von Millionen ermordeter Juden bloß sagen würde „Schwamm drüber, ich vergebe den Tätern“? Es wäre kein barmherziger Gott, es wäre bloß ein zynischer, mit den Mördern kollaborierender Gott. Denn das ist ja das Kalkül so vieler Täter, dass ihre Opfer, die irgendwo verschwinden, vergessen werden. Die Täter verlassen sich auf die Vergesslichkeit der Weltgeschichte, sie verlassen sich auf das Schweigen eingeschüchterter Zeugen, sie verlassen sich darauf, dass kein Richter je ihre Taten ans Licht bringen wird. Und nun sollte gerade Gott dafür sorgen, dass ihre Rechnung aufgeht? Gerade er sollte durch eine schnelle himmlische Amnestie einen Federstrich durch die Leiden der Vergangenheit machen und damit erlittene Schmerzen bagatellisieren? Gott sollte einfach so Fünfe gerade sein lassen und sich damit auf die Seite der Täter und gegen die Opfer stellen?
Nein – weil das nicht sein kann, darum liegt mir Gottes Gericht am Herzen. Denn das heißt ja Gericht, dass den Opfern Recht widerfährt, dass die Toten als Ankläger aufstehen und dass die namenlosen Gequälten und Geschundenen Rehabilitation erfahren. Den Schuldigen aber darf das Geständnis ihrer Schuld nicht erspart bleiben, denn anderenfalls beruhte ihre Seligkeit nur auf der Verharmlosung der Not, die sie angerichtet haben. Der Gott, der ihnen leichtfertig vergäbe, demonstrierte damit, dass ihn das Leid der Unterdrückten nur oberflächlich berührt hat, seine Vergebung erschiene mehr als Ausdruck von Gleichgültigkeit denn von Liebe. Weil das aber nicht dem biblischen Zeugnis von Gott entspricht, darum bin ich ein Freund und Fürsprecher des Jüngsten Gerichtes. Und ich meine, wir sollten mehr davon reden und öfter daran denken, als wir es tun. Nicht um Menschen damit zu belasten und ihnen Angst zu machen, sondern um sie zu entlasten. Denn stellen sie sich einmal vor, es gäbe Gottes Gericht nicht – was wäre die Folge? Wir könnten nicht etwa aufatmen, sondern wir bekämen eine drückende Verantwortung aufgelegt. Denn dann müssten wir Menschen selbst versuchen, die aus den Fugen geratene Weltordnung wiederherzustellen. Der Mensch müsste selbst auf Gottes verwaisten Richterstuhl klettern. Denn gäbe es kein jenseitiges Gericht Gottes, so gäbe es auch keine Gerechtigkeit außer der, die Menschen selbst in dieser Weltgeschichte herstellen. Könnten wir uns nicht auf Gottes Gericht verlassen, trügen wir alle Verantwortung für die sittliche Weltordnung auf den eigenen Schultern. Wir müssten dann wohl oder übel die Exekutive in die Hand nehmen, müssten strafen, was zu strafen ist, und belohnen, was zu belohnen ist. Wir müssten mit dem Jüngsten Gericht schon zu Lebzeiten der Täter beginnen, weil ja zu fürchten wäre, dass die Toten nicht mehr belangt werden.
Was das aber für den Frieden in der Welt bedeutete, kann sich jeder ausmalen: Einer würde sich zum Richter des anderen aufschwingen, einer würde zum Racheengel und zum Henker des anderen. Und das Ergebnis wäre nicht Gerechtigkeit, sondern weiteres schreckliches Blutvergießen. Denn die Menschheit zerfällt in Täter und Opfer und solche, die beides sind – aber als Richter in letzter Instanz eignet sich keiner von uns. Sollten wir Gottes Rolle als Richter übernehmen, wären wir überfordert. Und auch darum ist es gut, dass wir ihm das Gericht überlassen können, wie es Paulus im Römerbrief empfiehlt: „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«„ (Röm 12,19)...https://www.evangelischer-glaube.de/die-vollendung/124-gottes-gericht-am-ende-der-zeit/
Wer sich viel mit älteren Menschen unterhält, weiß, wie nachhaltig der Krieg diese Generation geprägt hat und wie häufig die Kriegszeit in den Mittelpunkt der Gespräche tritt. Einige denken ganz gern an diese Zeit, denken an ihre Jugend und wie sie es geschafft haben, mit Fleiß und Geschick durch die harte Zeit hindurchzukommen. Da verklärt sich manches im Abstand der vielen Jahre. Doch gibt es auch die anderen, denen es nie gelungen ist, von diesen Ereignissen Abstand zu gewinnen. Es gibt Kriegsteilnehmer, die Nacht für Nacht von Alpträumen heimgesucht werden und schweißgebadet erwachen, weil ihnen das Morden nicht aus dem Kopf geht, weil sie die Schreie verwundeter Kameraden immer noch hören, weil sie die eigene Todesangst und die Angst um die Familie nicht loswerden.
Freilich – diesen Menschen wird gesagt, sie sollten doch endlich die alten Geschichten vergessen. Und sie täten es wohl selbst gern. Aber wenn sie abends im Bett die Augen schließen, sind die Bilder wieder da: Brennende Häuser und sterbende Soldaten, endlose Flüchtlingstrecks und Leichen am Straßenrand. Diese Leute werden nicht gesprächig, wenn es um den Krieg geht, sondern schweigsam. Denn ihre Erfahrungen eignen sich nicht als Anekdoten für die Enkelkinder. Sie waren gewissermaßen Augenzeugen einer biblischen Tragödie. Sie haben erlebt, wie Kain den Abel erschlug. Ja, sie waren selbst Kain oder waren selbst Abel, waren Gewalttäter oder Gewaltopfer oder beides – und sie werden damit nicht fertig. Ihre Erfahrungen rauben ihnen den Schlaf, weil sie spüren, dass Krieg, Mord und Gewalt mehr sind als bloße Zwischenfälle im normalen Betrieb der Weltgeschichte. Sie spüren, dass durch Mord und Gewalt die ganze von Gott gewollte Weltordnung aus den Fugen gerät. Sie spüren, dass der Krieg nicht bloß ein kleiner Riss ist im Gebäude unserer Welt, sondern etwas grundstürzend Falsches, wobei man sich einfach nicht beruhigen kann, etwas, das auch durch tausendfache Wiederholung nicht normal und nicht akzeptabel wird. Es sind dies sensible Menschen, es sind verstörte Menschen – und sie sind gerade durch ihr Verstört-Sein dem christlichen Glauben sehr nahe. Denn ich meine, sie empfinden, was auch Gott empfindet. Die Sache mit Kain und Abel lässt nämlich auch Gott nicht ruhen. Auch er leidet daran, dass jener erste Totschlag eine tiefe Unordnung in die Welt gebracht hat. Etwas, was man nicht auf sich beruhen lassen kann und das auch nicht mal so eben „vergeben und vergessen“ werden darf.
Gewiss, Kain wäre es so am liebsten gewesen. Er hätte die Angelegenheit gern schnell vergessen. Es steht zwar nicht ausdrücklich in der Bibel, aber ich vermute, er hat die Leiche seines Bruders auf dem Acker verscharrt, gleich dort am Ort der Tat. Und er hat wohl gehofft, damit sei die ganze Angelegenheit begraben. Doch dummerweise kommt einer, der sich für die Gewaltopfer dieser Welt interessiert. Gott kommt und fragt Kain: „Wo ist dein Bruder Abel?“. Kain ist dreist genug, Gott zu belügen. Und so antwortet er: „Ich weiß nicht“. Und weil Angriff die beste Verteidigung ist, fügt er noch ein freches Wortspiel an: „Soll ich des Hirten Hirte sein? – Soll ich meines Bruders Hüter sein?“. Ja, so redete Kain damals und so reden Kains Söhne bis heute. Denn die Gewalttäter aller Zeiten folgen seinem Beispiel. Immer wieder kommt es zu Bruderkriegen. Und nicht selten werden die Opfer irgendwo in Massengräbern verscharrt. Man verlässt sich darauf, dass wortwörtlich Gras über die Sache wächst, dass die Überreste der Opfer nicht gefunden und ihre Namen vergessen werden. Überall auf der Welt verfolgen Kains Söhne dieselbe Strategie wie ihr Stammvater. Sie schüchtern Zeugen ein, verwischen Spuren und hoffen, dass kein Richter sie je belangt. Sie rechnen mit der Vergesslichkeit der Weltöffentlichkeit – und diese Rechnung geht oft auf.
Ist das nicht unerträglich? Ich denke, es müsste uns allen mehr als eine schlaflose Nacht bereiten, dass die Frechheit der Täter so oft das letzte Wort behält und die Tränen der Opfer so oft ungesühnt bleiben. Oder können sie sich daran gewöhnen, dass die Mörder und Vergewaltiger, die Kinderschänder und Folterer dieser Welt so oft ungeschoren davonkommen? Können sie sich daran gewöhnen, dass so viele Opfer nicht rehabilitiert werden und keine Gelegenheit haben, als Ankläger gegen die Täter aufzutreten? Mir jedenfalls gelingt es nicht, darüber zur Ruhe zu kommen. Und darum bin ich froh, dass es da einen gibt, der nicht vergesslich und nicht gleichgültig ist, einen Richter, der nicht getäuscht und nicht umgangen werden kann. Und das ist Gott. Denn so lesen wir es im biblischen Text: Abel selbst war mundtot gemacht und verscharrt. Aber das Blut Abels schrie zu Gott von der Erde. Dieses eindrückliche Bild vom vergossenen Blut, das zum Himmel schrie, verweist uns auf den Umstand, mit dem Kain nicht gerechnet hatte: Mag man auch Menschen täuschen können, so kann man doch nichts verbergen vor Gott. Kein Grab ist so tief, dass Gott die Ermordeten darin nicht fände. Keine Gefängnismauer ist so dick, dass Gott die Schreie der Gefangenen nicht hörte. Keine Nacht ist so dunkel, dass sie die Täter vor Gottes Auge verbergen könnte. Gott zählt jede Träne, die eine Mutter um ihre Kinder weint. Er zählt jeden Schlag, der einen Unschuldigen trifft. Und das ist gut so. Denn das Leid, das Menschen Menschen antun, schreit zum Himmel wie Abels Blut zum Himmel schrie. Gott hört dieses Schreien – und das ist gut. Denn wer immer der irdischen Gerechtigkeit entgeht, wird doch von der himmlischen eingeholt. Mag sich einer auch dem internationalen Gerichtshof in Den Haag entziehen können, so wird er doch am Ende vor Gottes Richterstuhl landen. Und das ist gut so. Denn ohne Sühne kommt diese Welt nie wieder ins Lot. Darum bin ich ein Freund und Fürsprecher des Jüngsten Gerichts – auch wenn das seltsam klingt. Ich sehne den Tag des Gerichtes herbei, wenn Gott Kain und Abel aus der Erde erweckt, wenn er alle Täter und alle Opfer einander gegenüberstellt und durch seinen Richterspruch beiden Seiten Gerechtigkeit widerfahren lässt. Ich freue mich auf diesen Tag, denn den Tätern darf die Konfrontation mit ihrer Schuld nicht erspart bleiben, und die Opfer müssen wiederhergestellt werden durch Gottes Hand. Erst dann werden sich die Wunden schließen, erst dann finden die ruhelosen Geister Ruhe und die letzten offenen Rechnungen werden geschlossen.
Freilich, ich weiß, dass mancher sich wundert über meine Freude am Jüngsten Gericht. Denn wo bleibt da die Gnade Gottes, wo bleibt die Vergebung und die Barmherzigkeit, von der Jesus sprach? Doch irritiert mich der Einwand nicht. Ich meine nämlich, dass Jesu Verkündigung von der Vergebungsbereitschaft Gottes immer den Horizont des Gerichtes hatte – und ihn auch unbedingt brauchte, weil sie anderenfalls zynisch wirken würde. Wäre Gottes Gnade nicht Gnade im Gericht, sondern Gnade ohne Gericht, so bliebe den Tätern die Konfrontation mit ihrer Schuld erspart. Vergebung hieße dann, dass die Leiden der Opfer ignoriert, großzügig übergangen und dem Vergessen preisgegeben würden – Jesu Botschaft von der Vergebung wäre ohne den Horizont des Gerichtes eine zynische Botschaft. Denn man bedenke: Das Evangelium, das wir zu verkündigen haben, stellt auch dem größten Sünder die Möglichkeit der Begnadigung in Aussicht. Gottes Gnade ist groß genug sogar für einen Adolf Hitler oder einen Josef Stalin. Niemand ist so schuldig, dass ihm nicht um Christi willen vergeben werden könnte, wenn er sich im Glauben nach dieser Vergebung ausstreckt. Doch was wäre das für eine Vergebung, wenn sie über die Opfer einfach hinwegginge? Was wäre das für ein Gott, der angesichts von Millionen ermordeter Juden bloß sagen würde „Schwamm drüber, ich vergebe den Tätern“? Es wäre kein barmherziger Gott, es wäre bloß ein zynischer, mit den Mördern kollaborierender Gott. Denn das ist ja das Kalkül so vieler Täter, dass ihre Opfer, die irgendwo verschwinden, vergessen werden. Die Täter verlassen sich auf die Vergesslichkeit der Weltgeschichte, sie verlassen sich auf das Schweigen eingeschüchterter Zeugen, sie verlassen sich darauf, dass kein Richter je ihre Taten ans Licht bringen wird. Und nun sollte gerade Gott dafür sorgen, dass ihre Rechnung aufgeht? Gerade er sollte durch eine schnelle himmlische Amnestie einen Federstrich durch die Leiden der Vergangenheit machen und damit erlittene Schmerzen bagatellisieren? Gott sollte einfach so Fünfe gerade sein lassen und sich damit auf die Seite der Täter und gegen die Opfer stellen?
Nein – weil das nicht sein kann, darum liegt mir Gottes Gericht am Herzen. Denn das heißt ja Gericht, dass den Opfern Recht widerfährt, dass die Toten als Ankläger aufstehen und dass die namenlosen Gequälten und Geschundenen Rehabilitation erfahren. Den Schuldigen aber darf das Geständnis ihrer Schuld nicht erspart bleiben, denn anderenfalls beruhte ihre Seligkeit nur auf der Verharmlosung der Not, die sie angerichtet haben. Der Gott, der ihnen leichtfertig vergäbe, demonstrierte damit, dass ihn das Leid der Unterdrückten nur oberflächlich berührt hat, seine Vergebung erschiene mehr als Ausdruck von Gleichgültigkeit denn von Liebe. Weil das aber nicht dem biblischen Zeugnis von Gott entspricht, darum bin ich ein Freund und Fürsprecher des Jüngsten Gerichtes. Und ich meine, wir sollten mehr davon reden und öfter daran denken, als wir es tun. Nicht um Menschen damit zu belasten und ihnen Angst zu machen, sondern um sie zu entlasten. Denn stellen sie sich einmal vor, es gäbe Gottes Gericht nicht – was wäre die Folge? Wir könnten nicht etwa aufatmen, sondern wir bekämen eine drückende Verantwortung aufgelegt. Denn dann müssten wir Menschen selbst versuchen, die aus den Fugen geratene Weltordnung wiederherzustellen. Der Mensch müsste selbst auf Gottes verwaisten Richterstuhl klettern. Denn gäbe es kein jenseitiges Gericht Gottes, so gäbe es auch keine Gerechtigkeit außer der, die Menschen selbst in dieser Weltgeschichte herstellen. Könnten wir uns nicht auf Gottes Gericht verlassen, trügen wir alle Verantwortung für die sittliche Weltordnung auf den eigenen Schultern. Wir müssten dann wohl oder übel die Exekutive in die Hand nehmen, müssten strafen, was zu strafen ist, und belohnen, was zu belohnen ist. Wir müssten mit dem Jüngsten Gericht schon zu Lebzeiten der Täter beginnen, weil ja zu fürchten wäre, dass die Toten nicht mehr belangt werden.
Was das aber für den Frieden in der Welt bedeutete, kann sich jeder ausmalen: Einer würde sich zum Richter des anderen aufschwingen, einer würde zum Racheengel und zum Henker des anderen. Und das Ergebnis wäre nicht Gerechtigkeit, sondern weiteres schreckliches Blutvergießen. Denn die Menschheit zerfällt in Täter und Opfer und solche, die beides sind – aber als Richter in letzter Instanz eignet sich keiner von uns. Sollten wir Gottes Rolle als Richter übernehmen, wären wir überfordert. Und auch darum ist es gut, dass wir ihm das Gericht überlassen können, wie es Paulus im Römerbrief empfiehlt: „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«„ (Röm 12,19)...https://www.evangelischer-glaube.de/die-vollendung/124-gottes-gericht-am-ende-der-zeit/
Haben Sie es schon gemerkt? In großen Teilen der Kirche hat eine neue Lehre Einzug gehalten. Es ist ohne viel Aufsehen geschehen, mehr so „unter der Hand“. Aber die neue Lehre ist inzwischen derart verbreitet, dass mancher sie für selbstverständlich hält. Viele Pfarrer bekennen sich dazu und predigen entsprechend. Und worum geht es? Es handelt sich um die Lehre von der „Allversöhnung“, auch genannt die Lehre von der „Wiederbringung aller“. Und sie besagt im Kern, dass die Geschichte Gottes mit den Menschen keinen „doppelten Ausgang“ findet (so dass manche Menschen in den Himmel kommen, und andere in die Hölle), sondern dass am Ende der Geschichte alle begnadigt und gerettet werden. Nach dieser Lehre werden auch die Bösesten und Ungläubigsten und sogar der Teufel selbst von Gott gewandelt und erlöst, so dass die Hölle leer bleibt, und über kurz oder lang alle ins himmlische Reich eingehen. Die Vertreter dieser Lehre glauben nicht an eine ewige Verdammnis, nicht an Höllenqualen und auch nicht an einen Gott, der jemanden endgültig verwirft, denn sie meinen, das passe schlecht zu Gottes Liebe und Güte – zu dieser Güte passe aber viel eher ein grenzenloses Erbarmen, das keine Ausnahmen macht, sondern alle Geschöpfe einschließt und alle rettet… Nun, kennen Sie Leute, die an solch eine „Allversöhnung“ glauben? Oder glauben sie selbst daran? Wenn die Sache in ihrer Ohren zumindest „sympathisch“ klingt, kann ich das gut verstehen. Denn als der Sünder, der ich bin, wünschte ich mir auch, dass es keine Hölle gäbe. Es wäre sehr beruhigend. Und als Pfarrer hätte ich es leichter, denn mit einem Gott, der alle amnestiert, wären alle Menschen einverstanden. Wenn er am Ende sowieso alle begnadigt, könnten wir uns entspannen, mit der Mission wäre es nicht so dringend, und mit der Nachfolge nicht so ernst. Man könnte dann sagen: „Nehmt’s leicht, am Ende wird alles gut – sogar für die Bösen!“ Doch bevor wir uns in die neue Lehre allzusehr verlieben, sollten wir kurz nachdenken. Denn in der evangelischen Kirche haben wir nicht zu predigen, was gefällt, sondern was geschrieben steht. Und das hat den einfachen Grund, dass wir über Himmel und Hölle nichts aus eigener Erfahrung wissen, sondern davon überhaupt nur wissen können, was Gott uns offenbart. Niemand kann uns über den Ausgang der Geschichte Auskunft geben, außer dem, der den Jüngsten Tag herbeiführt. Und das ist Gottes Sohn, der heute zur Rechten Gottes sitzt und dann kommen wird, um zu richten die Lebenden und die Toten. Von ihm be-ziehen wir unsere Weisheit! Christen glauben nicht, was ihnen einfällt, sondern was Christus sie lehrt! Darum müssen wir an diesem Punkt das Neue Testament aufschlagen und nachsehen, ob wir die Lehre von der Allversöhnung darin finden. Lehrt Jesus eine „Generalamnestie“ für alle Menschen, oder lehrt er sie nicht? In Matthäus 5,22 warnt Jesus jedenfalls vor dem „höllischen Feuer“ und in den Versen 29 und 30 empfiehlt er, sich schleunigst von allem zu trennen, was zum Abfall verführt, damit nicht unser ganzer Leib „in die Hölle geworfen werde“. Ähnliche Warnungen vor der Hölle und dem „ewigen Feuer“ finden wir in Matthäus 10,28 und 18,8-9. Wenn also Jesus gemeint hätte, dass es einen solchen Ort der Verdammnis gar nicht gäbe, warum sollte er so oft davon reden? Jesus ist noch nicht einmal der Ansicht, dass eine Mehrheit gerettet wird, und nur wenige verloren gehen, sondern er sagt in Matthäus 7,13-14: „Geht hinein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und viele sind's, die auf ihm hineingehen. Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind's, die ihn finden!“ Gottes Sohn redet da ganz klar von zwei Pforten, von denen nur die engere zum Leben führt. Und wenn es nur wenige sind, die dort hindurchgehen, muss sich die Mehrheit doch wohl auf dem breiten Weg in die Verdammnis befinden. Würde Jesus nicht mit einem doppelten Ausgang der Geschichte rechnen, hätte er sich hier wirklich ungeschickt ausgedrückt, und eine Korrektur wäre spätestens in den Gleichnissen Jesu zu erwarten. Aber was lesen wir? Nachdem er seinen Jüngern das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen erzählt hat, erklärt er es folgendermaßen: „Der Menschensohn ist's, der den guten Samen sät. Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reichs. Das Unkraut sind die Kinder des Bösen. Der Feind, der es sät, ist der Teufel. Die Ernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel. Wie man nun das Unkraut ausjätet und mit Feuer verbrennt, so wird's auch am Ende der Welt gehen. Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alles, was zum Abfall verführt, und die da Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein. Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich. Wer Ohren hat, der höre!“ (Matthäus 13,37-43) Das klingt nicht gerade nach Allversöhnung und „Generalamnestie“, sondern es geht wieder um die Scheidung zweier Gruppen, denen Unterschiedliches bevorsteht! Und noch im selben Kapitel erzählt Jesus ein zweites Gleichnis, das ebenso eindeutig ist wie das erste. Er sagt: „Wiederum gleicht das Himmelreich einem Netz, das ins Meer geworfen ist und Fische aller Art fängt. Wenn es aber voll ist, ziehen sie es heraus an das Ufer, setzen sich und lesen die guten in Gefäße zusammen, aber die schlechten werfen sie weg. So wird es auch am Ende der Welt gehen: Die Engel werden ausgehen und die Bösen von den Gerechten scheiden und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein.“ (Matthäus 13,47-50) Das Gleichnis von der königlichen Hochzeit (Matthäus 22,1-14) hat denselben doppelten Ausgang. Da werden ganz viele Gäste zum Fest geladen, aber der eine, der kein hochzeitliches Gewand anhat, wird gebunden und in die Finsternis hinausgeworfen. Jesus gibt zu verstehen, es werde mit dem Himmelreich auch so sein, dass nicht unterschiedslos alle hineinkommen, sondern dass eine Auswahl stattfindet. Und in Matthäus 7,21 sagt er es ausdrücklich: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.“ In Kapitel 10,22 heißt es „Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig werden.“ Jesus sagt nicht, jeder werde selig werden, auch wenn er nicht beharrt! Und in Matth. 12,32 spricht er von einer speziellen Sünde, die „weder in dieser noch in jener Welt“ vergeben wird. Wenn aber nicht jede Sünde vergeben wird, wie sollten dann alle Menschen selig werden? Jesus rechnet offenbar nicht damit, dass alle gerettet werden. Gott sagt am Ende nicht: „Schwamm drüber – ihr seid mir alle recht!“, sondern er scheidet die Menschheit sorgsam in zwei Gruppen. Und Jesus bestätigt in Matthäus 24,40-41, dass die Scheidung beim Kommen des Menschensohns mitten durch die natürlichen Gemeinschaften hindurchgeht: „Dann werden zwei auf dem Felde sein“ – sagt er – „der eine wird angenommen, der andere wird preisgegeben. Zwei Frauen werden mahlen mit der Mühle; die eine wird angenommen, die andere wird preisgegeben.“ Bei den klugen und törichten Jungfrauen (Matthäus 25,1-13) läuft es auf dasselbe hinaus, weil zwar alle auf den Bräutigam warten, aber die einen haben Vorrat an Öl und gehen mit zur Hochzeit hinein, und die anderen kommen zu spät und bleiben draußen vor verschlossenen Türen. Klingt das, als hätte Jesus die Allversöhnung gelehrt, und eine Möglichkeit, den Himmel zu verpassen, gäbe es gar nicht? Wer noch zweifelte, was Jesus meint, könnte zuletzt das Gleichnis vom Weltgericht lesen (Mt 25,31–46), in dem beschrieben wird, wie der Menschensohn kommen wird, um die Völker zu richten. Er wird sie von-einander scheiden wie ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. Denen zur Rechten sagt er: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!“ Und denen zur Linken sagt er: „Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!“ Ich will sie nicht mit noch mehr Bibelstellen lang-weilen, die alle dasselbe besagen. Denn weder Jesus, noch sonst jemand im Neuen Testament lehrt, dass alle Menschen gerettet würden, sondern Jesus und die Seinen rechnen damit, dass Sünder, die nicht im Glauben das Heil ergreifen, auf ewig verloren sind. Es ist nicht wahrscheinlich, dass Jesus sich an so vielen Stellen immer wieder ungeschickt ausdrückt. Und es ist noch viel weniger anzunehmen, dass er seine Jünger bewusst täuscht. Wäre die Hölle keine Realität, so hätte Jesus das dementiert. Wenn er’s aber ausdrücklich bestätigt – wer will sich dann herausnehmen, über diese Dinge besser Bescheid zu wissen als Gottes Sohn selbst? Hat jemand mehr Erfahrung mit Himmel und Hölle als Gottes eigener Sohn, der vom Himmel zur Erde kam, von uns Menschen gekreuzigt und „zur Hölle geschickt“ wurde, der von dort auferstand, gen Himmel fuhr und einst zurückkommen wird, um zu richten die Lebenden und die Toten? Freilich: Manche Theologen wissen es besser als Gottes Sohn. Die sind klüger als das Neue Testament und verkünden heute, die Hölle sei nur ein Mythos, mit dem man Kinder erschreckt, und in Wahrheit sei Gott viel zu lieb, um jemand ewig zu strafen. Wenn Jesus das Gegenteil sagt – na, wer ist schon Jesus? Diese Theologen wissen anscheinend mehr über Gott als Gott selbst. Und wenn das Neue Testament hundert Mal einschärft, es sei bitter ernst mit dem Gericht, lachen sie immernoch darüber, weil sie ja Gott besser kennen und wissen, dass seinem Wesen gar nichts anderes entspricht als unendliche Milde und grenzen-loses Erbarmen…
Nun, das wird ein böses Erwachen geben. Darum machen wir uns besser noch mal klar, aus welcher Quelle sich theologisches Wissen speist: Wir würden Gott nur von ungefähr und in seinem Wesen überhaupt nicht kennen, wenn er sich nicht in Christus offenbart hätte. Und wir kennen Christus nur durch das Neue Testament. Wenn Christus aber im Neuen Testament durchgängig von Gericht und Verwerfung redet, sollten wir das besser als Tatsache hinnehmen und akzeptieren. Für die Allversöhnung lassen sich nur ein paar Verse aus paulinischen Briefen anführen, die scheinbar (wenn man sie aus dem Zusammenhang nimmt) von universalem Heil reden (Röm 5,18-19, Röm 11,32, 1. Kor 15,22-28, Phil 2,9-11, Kol 1,19-20, 1. Tim 2,4). Dass diese Verse aber anders zu verstehen sind, beweist Paulus selbst, wenn er in Röm 2,1-16 ganz unmissverständlich einem doppelten Ausgang des Gerichts voraussetzt. Blättern wir noch bis zur Offenbarung des Johannes, so bestätigt auch sie es im Ganzen wie im Einzelnen: Es gibt jenen „feurigen Pfuhl“ (Offb 20,11-15). Wer es bestreiten will, muss neben Jesus und Paulus auch Johannes zum Lügner erklären! Wagen wir das aber nicht, so lautet die weiterführende Frage nicht mehr „ob“, sondern „wie“ die Hölle ist… Oder wollen wir das gar nicht so genau wissen? Natürlich liegt es nah, zuerst an leibliche Schmerzen zu denken, wie sie die mittelalterliche Malerei zur Genüge dargestellt hat. Doch die Hölle ausschließlich als physische Folter zu beschreiben, dürfte genauso falsch sein, wie wenn man sich den Himmel als Schlaraffenland vorstellt. Denn so wie es in Gottes Reich nicht vorrangig um Essen und Trinken und leibliche Genüsse geht, wird die Hölle nicht allein in leiblichen Schmerzen bestehen. Was den Himmel so herrlich macht, ist die unverstellte Gemeinschaft mit Gott. Seine pure Gegenwart ist es, die die Seligen selig macht! Und im Umkehrschluss kann man sich die Hölle als ein Zustand denken, in dem genau diese Gegenwart Gottes fehlt und unendlich vermisst wird. Viele Gleichnisse Jesu laufen ja darauf hinaus, dass die Verlorenen aus der Heilsgemeinschaft ausgeschlossen werden, daran nicht teilhaben können und in einem schrecklichen Sinne „draußen stehen“. Dieses „Draußen-stehen“ aber erst zu begreifen, wenn‘s nicht mehr zu ändern ist, das dürfte die größte Qual der Verdammten sein. Sie erleiden nicht irgendwas, sondern erleiden die Gottes-ferne, die sie selbst gewählt und zementiert haben. Sie verharren trotzig im Widerspruch zu Gott – und wissen zugleich, dass dieser Widerspruch nie zu etwas führen kann. Sie haben sich von Gott als der Quelle des Lebens abgeschnitten – und sterben nun ohne Ende. Sie haben sich von Gott als dem Inbegriff der Wahrheit getrennt – und damit ihr Dasein in einen Irrtum verwandelt. Sie haben Gott als dem Inbegriff der Liebe abgewiesen – und frieren nun in der Kälte ihrer eigenen Herzen. Sie haben sich vom Licht weg dem Dunkel zugewandt – und tappen nun in Finsternis. Sie sehen die Quelle sprudeln – sind aber zu fern, um ihren Durst zu löschen. Sie ahnen gewiss, welcher Friede bei Gott herrscht – haben aber niemals Anteil daran und bleiben ewig friedlos, denn Gott entlässt sie nicht aus dem Dasein, sondern erhält sie in einer Existenz, die nur aus Distanz und Defizit besteht. Und das ist angemessen. Denn wenn Sünde ihrem Wesen nach nicht „Unmoral“ ist, sondern eine viel tiefere „Trennung von Gott“, dann besteht die passende Strafe genau darin, von Gott getrennt zu sein. In der Trennung liegt die Schuld und zugleich die angemessene Strafe. Denn es ist die Hölle, draußen zu stehen und zu sehen, wie drinnen im Himmel gefeiert wird – ja, draußen zu stehen mit der Gemeinschaft vor Augen, zu der man ein-geladen war, und die man ausgeschlagen hat. Es ist die Hölle, einen Gott zu hassen, der doch ewig Recht behält, und sich durch eben diesen Hass immer noch mehr auszuschließen von allem, was gut sein könnte. Und es ist eine Hölle, die der Mensch sich selbst bereitet, denn den Horror einer gegen Gott gerichteten Existenz haben wir Menschen selbst erfunden. Seit Adam und Eva träumen wir davon, uns dem Schöpfer gegenüber selbständig zu machen. Und die „Hölle“ ist einfach nur der fragwürdige Erfolg dieses Projektes, dass nämlich jene, die sich von Gott als der Quelle des Guten lösen und entfernen wollten, tatsächlich fern von allem Guten ein schauriges Dasein fristen. Quälend wird die Erinnerung sein, dass man ein Leben lang die Hand Jesu Christi ausschlug, die man nur hätte ergreifen müssen, um gerettet zu werden. Und man wird sich für diesen Widersinn hassen, weil man nicht bloß „irgendwas“ verloren hat, sondern Gott verloren hat, dem nahe zu kommen das eigentliche Ziel unseres Lebens gewesen wäre…
Da wird sein „Heulen und Zähneklappern“, sagt Jesus. Wenn wir aber Grund haben, das als Warnung ernst zu nehmen – warum lässt man die Botschaft nicht einfach stehen? Warum flüchten so viele in die unbiblische Illusion der „Allversöhnung“? Alles spricht dafür, dass es diesen Ort gibt, wo selbst das Beten keinen Sinn mehr macht, weil Gott nicht mehr hinhört. Und trotzdem: Befragt man die Theologie der Gegenwart, hört man tausend Erklärungen, weshalb die Hölle nicht existieren könne, oder wenigstens nicht so, nicht auf die Dauer oder nur für ganz wenige. Man bemüht sich wegzuerklären, was glasklar geschrieben steht! Doch wenn wir den Gedanken an die Strafe so sehr fürchten, warum fürchten wir nicht gleichermaßen die Schuld, aus der sie resultiert? Scheuen wir die Hölle so sehr, warum scheuen wir dann nicht die Sünde? Schreckt uns diese Wirkung, warum meiden wir nicht die Ursache? Wir regen uns auf, wenn Gott jemand aus seiner Gemeinschaft ausschließt und verwirft. Wenn derselbe Mensch aber zuvor Gott aus seinem Leben ausgeschlossen und Gottes Wort verworfen hat, dann regt uns das nicht auf? Wir verneinen Gott, wenn er aber seinerseits uns verneint, dann ist das ein Skandal? Wir dürfen ihn ignorieren, wenn er aber dasselbe mit uns macht, dann ist er ein Tyrann? Das ist verräterisch, denn es zeigt, dass wir nicht die menschliche Gottlosigkeit schlimm finden, sondern es nur schlimm finden, wenn sie Folgen hat. Wir scheuen gar nicht das Unrecht, sondern nur die Strafe. Und darum wenden wir tausend Künste auf, die Hölle aus der Bibel heraus-, und die Allversöhnung hineinzulesen. Menschlich verständlich mag das sein: Der Raucher will ja auch nichts von Lungenkrebs hören, der Trinker nichts von Leberzirrhose, und der Junkie nichts vom Drogentod. Genauso empören wir Sünder uns, wenn man uns mit der Hölle kommt. Wir sind da wie Kinder, die einem hungrigen Löwen begegnen und sich schnell die Augen zuhalten, weil sie sich ja sonst fürchten müssten. Nur: Verschwindet davon der Löwe? Ver-schwindet die Hölle, weil wir uns weigern, an sie zu glauben? Tun wir’s lieber – und danken wir Christus umso mehr, dass er uns vor ihr retten will! Glauben wir uns hindurch zu der Zuversicht, dass wir um Christi willen nicht bekommen, was wir verdienen! Allerdings bleibt auch dann noch ein Problem bestehen. Denn selbst wenn wir uns für die eigene Person unseres Heils gewiss sind, muss es uns immernoch schaudern beim Gedanken an die Verdammnis der Anderen, die nicht zum Glauben finden. Wir wären schlechte Christen, wenn uns ihr Schicksal kalt ließe! Aber wollen wir das Problem wieder lösen, indem wir Ausflüchte suchen, von denen im Neuen Testament nichts geschrieben steht? Ich gebe zu, dass die Versuchung groß ist. Auch ich stelle mir manchmal vor, wie die Erlösten im Himmel von Mitleid ergriffen eine Delegation zu Gott schicken und ihn in aller Demut bitten, die ewige Qual der Verdammten in ein ewiges Nicht-Sein zu wandeln, sie also nicht unbegrenzt in der Existenz festzuhalten, sondern irgend-wann die Unglücklichen selbst (und damit ihre Leiden) verlöschen zu lassen. Davon steht nichts in der Bibel, es ist nur ein Traum von mir! Ich stelle mir vor, wenn eine große Zahl von Heiligen und Erlösten bei Gott vorstellig würde, mit der Bitte, die Nicht-Rettbaren aus der höllischen Qual ins Nichts-Sein zu entlassen, so dass ihr bewusst-endloses Sterben in einen bewusstlos-ewigen Tod mündete, dass (wenn diese Fürbitte bei Gott Gehör fände) zwar nicht „alle versöhnt“ würden, aber doch zumindest alle, die übrig bleiben – und es ewig Unversöhnte nicht mehr gäbe… Doch ist das nicht viel mehr als eine Phantasie, die man sich zurechtlegt, um sich eine ewige Dauer der höllischen Pein nicht vorstellen zu müssen. Und derselbe Einwand ist dagegen geltend zu machen, wie gegen die Idee der Allversöhnung: Wenn Jesus gewollt hätte, dass seine Jünger sich mit solchen Hoffnungen beruhigen, hätte er selbst davon gesprochen und ent-sprechende Möglichkeiten angedeutet. Tat er das aber nicht, so müssen wir unsere Phantasien zügeln, müssen sie strikt von der biblischen Lehre unter-scheiden und bei den harten Fakten stehen bleiben: Die Heilige Schrift spricht von einer Hölle, aus der es keinen Ausweg gibt – und niemand von uns weiß es besser. Darum: Reden wir uns nicht ein, es werde schon nicht so schlimm kommen, und Gott würde mit dem Gericht nicht ernst machen, sondern folgen wir lieber den Weisungen Jesu, der uns die Hölle ersparen will. Verdrängen wir nicht die Gefahr, sondern ergreifen wir die Hilfe, die uns geboten wird. Und leisten wir unseren eigenen Beitrag dazu, dass es in der Hölle nicht gar so voll wird. Warnen wir alle, die eine Hölle nur noch aus albernen Comics kennen. Und lassen wir uns dafür ruhig auslachen. Denn jene, die noch rechtzeitig begreifen, dass mit Gott nicht zu spaßen ist, werden uns für diese Warnung ewig dankbar sein. Ja, Gott helfe uns, dass wir auch in dieser Hinsicht Boten seiner Wahrheit sind und wenigstens noch diesen oder jenen von der breiten Straße herunterholen, die in die Verdammnis führt…