Der Gott des Alten Testaments und der Jesus Christus des Neuen Testaments

Der Gott des Alten Testaments und der Jesus Christus des Neuen Testaments
Im Alten Testament finden sich unter anderem Texte wie diese:

„Von den Städten dieser Völker, die der Herr, dein Gott, dir als Erbteil gibt, sollst du nichts leben lassen,
was Odem hat.“ (5. Mose 20,16)

„So schlug Josua das ganze Land, das Gebirge, das Südland, die Niederung, die Berghänge und all ihre
Könige: Er ließ keinen Entronnenen übrig. An allem Lebenden vollstreckte er den Bann, wie der HERR,
der Gott Israels, geboten hatte.“ (Josua 10,40)

„Alle Städte dieser Könige mit all ihren Königen nahm Josua ein und schlug sie mit der Schärfe des
Schwertes. Er vollstreckte den Bann an ihnen, wie Mose, der Knecht des HERRN, befohlen hatte. 13 Nur
all die Städte, die auf Hügeln standen, verbrannte Israel nicht, ausgenommen Hazor allein, ⟨das⟩
verbrannte Josua. 14 Die ganze Beute dieser Städte sowie das Vieh plünderten die Söhne Israel für sich.
Doch alle Menschen schlugen sie mit der Schärfe des Schwertes, bis sie sie vernichtet hatten: Sie ließen
nichts Lebendes übrig.“ (Josua 11,12-14)

Diese Anweisungen Gottes können leicht zu der Ansicht führen, als habe Gott ein Gemetzel an
den heidnischen Völkern befohlen und darin auch die Schwächsten wie Frauen und Kinder mit
einbezogen. Allerdings gibt es nur zwei Stellen in Josua, die explizit erwähnen, dass auch Frauen (und
möglicherweise auch Kinder) vernichtet wurden:

„Und sie vollstreckten den Bann an allem, was in der Stadt war, an Mann und Frau, an Alt und Jung, an
Rind, Schaf und Esel, mit der Schärfe des Schwertes.“ (Josua 6,21)
„⟨Die Zahl⟩ aller Männer und Frauen, die an diesem Tag fielen, war zwölftausend, alle Leute von Ai.“
(Josua 8,35)

Im Neuen Testament finden sich dagegen Texte (Aussagen von Jesus) wie diese:

„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. 44 Ich aber
sage euch: Liebt eure Feinde, und betet für die, die euch verfolgen, 45 damit ihr Söhne eures Vaters
seid, der in den Himmeln ist! Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen
über Gerechte und Ungerechte.“ (Matthäus 5,43-45)

„Aber euch, die ihr hört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; 28 segnet, die
euch fluchen; betet für die, die euch beleidigen!“ (Lukas 6,27)

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! 37 Und richtet nicht, und ihr werdet nicht
gerichtet werden; und verurteilt nicht, und ihr werdet nicht verurteilt werden. Lasst los, und ihr werdet
losgelassen werden.“ (Lukas 6,36-37)

„Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren.“ (Matthäus 5,7)

Der Eindruck, den diese Texte erwecken, wird durch das Verhalten von Jesus verstärkt: Er nahm
sich der Schwachen und Kranken an, er scheute nicht die Gesellschaft von Sündern und Kriminellen, er
begegnete jedem Menschen mit Achtung, Respekt und vor allem mit Barmherzigkeit. Jesus ist der
Inbegriff von Güte und Liebe schlechthin.

Vor dem Hintergrund der oben genannten Texte im Alten Testament entsteht die Frage, wie der
scheinbar so unbarmherzige Gott dort mit dem so barmherzigen Jesus hier zu vereinbaren ist.
Schließlich behauptet die Bibel, dass Jesus der fleischgewordene Gott ist, und Jesus selber hat betont,
dass er und der Vater „eins“ sind:
„Ich und der Vater sind eins.“ (Johannes 10,30

„Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ (Johannes 14,9)

Die Antwort auf diese große und immer wieder gestellte Frage ist nur möglich durch
a. die Bereitschaft, differenziert zu denken und kein Pauschalurteil zu fällen
b. die grundsätzliche Einsicht, dass ein Gesamtbild notwendig ist, das nur durch die
Berücksichtigung aller relevanten Texte der Bibel entstehen kann
c. das Vertrauen in die Aussagen von Jesus und dass er die Wahrheit sagte, als er von seinem
Vater sprach


Bei genauerer Betrachtung dessen, was die Bibel sagt, stellen wir fest, dass wir sowohl im Alten
wie auch im Neuen Testament Aussagen finden, die dem oben genannten „ersten Eindruck“
widersprechen. Das heißt, der Gott des Alten Testaments ist tatsächlich liebevoll, barmherzig und mahnt
zur Nächstenliebe und der Jesus des Neuen Testaments ist der richtende Menschensohn.

Einige Beispiele:

Altes Testament
„Der HERR ist mir erschienen von ferne: Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir
gezogen aus lauter Güte.“ (Jeremia 31,3)

„Du sollst dich nicht rächen und den Kindern deines Volkes nichts nachtragen und sollst deinen
Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der HERR.“ (3. Mose 19,18)

„Und wenn ein Fremder bei dir – in eurem Land – als Fremder wohnt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. 34
Wie ein Einheimischer unter euch soll euch der Fremde sein, der bei euch als Fremder wohnt; du sollst
ihn lieben wie dich selbst. Denn Fremde seid ihr im Land Ägypten gewesen. Ich bin der HERR, euer
Gott.“ (3. Mose 19,34)

„Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brot, dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser, 22 denn du wirst
feurige Kohlen auf sein Haupt häufen, und der HERR wird dir's vergelten.“ (Sprüche 25,21)

Neues Testament
„Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen!“ (Hebräer 10,31)

„Und Jesus sprach: Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen, damit die Nichtsehenden sehen und
die Sehenden blind werden.“ (Johannes 9,39)

„Denn es wird geschehen, dass der Menschensohn kommt in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen
Engeln, und dann wird er einem jeden vergelten nach seinem Tun.“ (Matthäus 16,27)

„Jesus aber sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet bei der
Wiedergeburt, wenn der Menschensohn sitzen wird auf dem Thron seiner Herrlichkeit, auch sitzen auf
zwölf Thronen und richten die zwölf Stämme Israels.“ (Matthäus 19,28)

„Und ich sah, und siehe, eine weiße Wolke. Und auf der Wolke saß einer, der gleich war einem
Menschensohn; der hatte eine goldene Krone auf seinem Haupt und in seiner Hand eine scharfe Sichel.
15 Und ein andrer Engel kam aus dem Tempel und rief dem, der auf der Wolke saß, mit großer Stimme
zu: Setze deine Sichel an und ernte; denn die Zeit zu ernten ist gekommen, denn die Ernte der Erde ist
reif geworden. 16 Und der auf der Wolke saß, setzte seine Sichel an die Erde und die Erde wurde
abgeerntet. 17 Und ein andrer Engel kam aus dem Tempel im Himmel, der hatte ein scharfes
Winzermesser. 18 Und ein andrer Engel kam vom Altar, der hatte Macht über das Feuer und rief dem,
der das scharfe Messer hatte, mit großer Stimme zu: Setze dein scharfes Winzermesser an und schneide
die Trauben am Weinstock der Erde, denn seine Beeren sind reif! 19 Und der Engel setzte sein
Winzermesser an die Erde und schnitt die Trauben am Weinstock der Erde und warf sie in die große
Kelter des Zornes Gottes.“ (Offenbarung 14,14-19)

Erstes Fazit:

Jesus selber bestätigte, dass sein Vater barmherzig ist: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater
barmherzig ist!“ (Lukas 6,36) 
Der Gott des Alten Testaments ist also einerseits ein Gott, der den Israeliten befahl, die
heidnischen Völker im Land Kanaan zu vernichten, andererseits aber auch ein barmherziger Gott.
Der Jesus des Neuen Testaments ist einerseits ein gnädiger und barmherziger Erlöser, der alle
Menschen annimmt und ihnen Rettung anbietet, andererseits aber auch ein Richter, der mit großer
Autorität alle Menschen richten und auch vernichten wird.
Ein erstes Fazit muss also lauten: Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Gott des Alten
Testaments und dem Jesus des Neuen Testaments. Die häufig zitierte große Diskrepanz zwischen beiden
beruht auf einem eher oberflächlichen Klischeedenken, das nicht das gesamte Bild im Auge hat, das die
Bibel zeichnet.

Allerdings bleibt noch die Frage, wie die Anweisung Gottes an Israel, die Heiden von Kanaan
zu vernichten, mit dem Bild eines barmherzigen Gottes zu vereinbaren ist. Zwei Fragen tun sich hier
auf:
1. Warum sollten die Kanaaniter vertrieben oder umgebracht werden?
2. Warum beauftragte Gott Menschen, das auszuführen?

Zunächst einmal gilt festzuhalten, dass der Auftrag, die Kanaaniter zu vertreiben bzw. zu
vernichten, zu einer bestimmten Zeit für einen bestimmten Ort und unter bestimmten Umständen
gegeben wurde. Israel war zu jener Zeit eine Theokratie, also eine direkt von Gott geführte Nation, und
schon allein deshalb verbietet es sich, die damaligen Kriegshandlungen als Beispiel oder Vorbild für uns
heute zu benutzen. 
Außerdem sollten wir genau registrieren, dass die Israeliten nicht alle Bewohner Kanaans
töteten. Laut Josua 13,1-6 musste noch „sehr viel Land“ eingenommen werden, und viele Gebiete
wurden nicht erobert und die Bewohner nicht vernichtet (siehe Josua 15,63; 16,10; 17,12), und im Buch
der Richter wird ausführlich beschrieben, wie viele Kanaaniter im Land verblieben und von Israel zum
Frondienst verpflichtet wurden (Richter 1,19-36).
Es finden sich im Buch Josua auch keine Berichte über Brutalität, die die Israeliten an den
Kanaanitern verübt hätten. Wie oben erwähnt, werden „Männer und Frauen“ nur zwei Mal erwähnt,
nämlich bei der Eroberung von Jericho und der von Ai, und die Vermutung liegt nahe, dass in
altorientalischen Kriegsschilderungen „Männer und Frauen“ eine stereotypische Formel für die
vollständige Zerstörung sind, ohne die zwangsläufige Bedeutung, dass Frauen oder auch Kinder getötet
wurden. Wir finden nirgendwo in der Bibel auch nur annähernd eine Glorifizierung von Gewalt. Nach der
Eroberung Kanaans waren alle weiteren von Gott angeordneten oder sanktionierten Kriege reine
Verteidigungskriege.
Das Entscheidende bei der Landnahme durch Israel sollte nicht die Vernichtung, sondern die
Vertreibung der Kanaaniter sein. Mose versprach dem Volk, dass Gott „alle Nationen vor euch
vertreiben wird; und ihr werdet Nationen vertreiben, größer und stärker als ihr (5.Mose 11,23). Eine
Vertreibung muss nicht zwangsläufig brutal vor sich gehen. Gott wollte ja auch, dass der Pharao das Volk
Israel aus Ägypten „vertreiben“ oder „verjagen“ sollte (2. Mose 6,1; 11,1;12,39). Das Vertreiben aller
kanaanitischen Stämme (was tatsächlich nur zu einem Teil geschah, siehe oben) bedeutete nicht, dass
ihr Blut vergossen werden sollte. Vielmehr war es Gottes Plan, das Land und damit sein Volk von
verderblichen und gottesfeindlichen Einflüssen zu befreien und zu schützen. 
Gott selber legte fest, wie die Israeliten im Krieg mit anderen Völkern vorzugehen hatten. Die
Anweisungen dazu finden sich in 5.Mose 20,10-18. Zuallererst sollten die Israeliten einer Stadt, die sie
belagerten, Frieden anbieten. Wenn die Bewohner zustimmten, blieben sie als Kriegsgefangene oder
Versklavte am Leben (5. Mose 20,10-11; 21,10-14). Lehnten sie ab, wurden bei einer Eroberung die
dortigen Kämpfer getötet. Gehörte die Stadt aber zum kanaanitischen Land, sollte Israel keinen Frieden
anbieten, sondern „unbedingt den Bann vollstrecken“, also alle streitbaren Kämpfer töten. Der „Bann“
betraf nur die Städte Kanaans und muss als Ausnahme zur prinzipiellen Kriegführung gesehen werden.
Beim südlichen Feldzug Israels wurden die bereits genannten Städte Jericho und Ai sowie einige
andere Städte erobert und vernichtet (siehe Josua 10,28-40), beim nördlichen Feldzug waren es nur vier
Städte (Josua 11,11-14). In Josua 11,19 heißt es dann: „Es gab keine Stadt, die sich den Söhnen Israel
friedlich ergab, außer den Hewitern, die in Gibeon wohnten, alles ⟨andere⟩ nahmen sie im Kampf ein.“
Es gab also Ausnahmen, und es kann keine Rede von einer Ausrottung der Bevölkerung sein. 

Was waren die Gründe, die Gott zu dem Befehl veranlassten, die Kanaaniter zu vertreiben oder den
Bann an ihnen zu vollstrecken?

1. Die Sünden dieser kanaanitischen Stämme, die von Inzest über Kindesopfer bis hin zu sexuellen
Handlungen mit Tieren gehen. In 5. Mose 18,9-14 fügt Gott noch die Gräuel des Okkultismus
hinzu. Dazu kommt eine bewusste Missachtung Gottes und ein damit verbundener aktiver
Widerstand gegen sein Volk. Die Kanaaniter hatten von Gottes Wirken gehört, entschieden sich
aber dagegen, zum Volk Gottes zu gehören, eine Möglichkeit, die ihnen offenstand. Das
moralische Unterscheidungsvermögen lag bei diesen Menschen jenseits von Gut und Böse, ganz
ähnlich wie in der Zeit vor der Sintflut, als Gott beschloss, der Bosheit der Menschen ein Ende zu
setzen, indem er sie vernichtete. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, auch wenn es uns
schwerfällt, dass es eine Entwicklung zur Bosheit gibt, die nur durch völlige Vernichtung zu
bremsen ist.
2. Die von Gott eingeräumte Zeit zur Umkehr war verstrichen. Gott hatte das Gericht über diese
Völker angekündigt (siehe 1. Mose 15,16), aber ihr Sündenmaß war noch nicht voll. Insgesamt
bekamen sie 430 Jahre Zeit, ihr Verhalten zu überdenken und sich Gott zuzuwenden. Gott ist
eben ein Gott der Gnade, wie es in 2. Mose 34,6-7 zum Ausdruck kommt: „Jahwe, Jahwe, Gott,
barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und reich an Gnade und Treue, 7 der Gnade bewahrt
an Tausenden ⟨von Generationen⟩, der Schuld, Vergehen und Sünde vergibt, aber keineswegs
ungestraft lässt, ⟨sondern⟩ die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern und Kindeskindern,
an der dritten und vierten ⟨Generation⟩.“
Die Kanaaniter hätten diese Chance nutzen können, die Umkehr der Hure Rahab in Jericho ist
ein gutes Beispiel dafür (siehe Josua 2 und 6). Leider nahmen die meisten Menschen in Kanaan
diese Gelegenheit nicht wahr. Damit war die Gefahr ihres schlechten Einflusses zu groß, und
Gott musste diesen Einfluss begrenzen.

Die Bibel spricht sehr deutlich davon, dass Gott auch am Ende der Zeit Gericht über diejenigen
halten wird, die seinem Werben nicht nachgegeben und sich gegen ihn entschieden haben. Damit ist der
Krieg gegen die Kanaaniter ein gleichnishaftes Modell für den letzten „Zorn“ Gottes, mit dem er
endgültige Gerechtigkeit schaffen wird. Dies ist Teil des großen Kampfes zwischen Gut und Böse. 

Zweites Fazit:

Gott ist und bleibt ein Gott der Liebe – auch dann, wenn er richtet. Sein Gerichtshandeln ist im
tiefsten Sinn ein Akt der Liebe. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass manchmal dem Bösen ein klares
Ende gesetzt werden muss und dass in einem solchen extremen Fall Barmherzigkeit kein Ausdruck von
Liebe, sondern von Feigheit wäre. Gott möchte retten, nicht zerstören und vernichten. So war es auch
bei der Eroberung Kanaans: Es ging nicht um Volkszugehörigkeit, sondern um Sünde, die von Gott trennt
und früher oder später zum Tod führt.
Der Gott des Alten Testaments ist genau der, der sich in seinem Sohn Jesus Christus offenbart
hat. Und Jesus Christus ist genau der, der im Alten Testament den Menschen begegnet ist. Wenn wir die
Bibel aufmerksam lesen und genau hinschauen, werden wir feststellen, dass Vater und Sohn tatsächlich eins sind

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