Anglikaner suchen Kompromiss beim Thema Homosexualität
03.08.2022 19:43
Anglikaner suchen Kompromiss beim Thema Homosexualität
03.08.2022 19:43
Anglikaner suchen Kompromiss beim Thema Homosexualität
03.08.2022
STANDING OVATIONS FÜR ERZBISCHOF WELBY – FORTSETZUNG FOLGT
CANTERBURY ‐ Um die Frage, ob es in der gesamten Anglikanischen Gemeinschaft homosexuelle Bischöfe und die Segnung gleichgeschlechtlicher Ehen geben soll, brodelt es seit Monaten. Auf dem Weltbischofstreffen "Lambeth-Konferenz" wurde nun darüber diskutiert.
Die Debatte beim anglikanischen Weltbischofstreffen "Lambeth-Konferenz" zum Thema Homosexualität war mit Spannung erwartet worden. Am Dienstagabend diskutierten die 650 Bischöfinnen und Bischöfe aus 165 Ländern in Canterbury über den sogenannten "Lambeth-Aufruf" zur Menschenwürde, der diese Fragen umfasst.
Dass die Veranstaltung ohne Proteste, aber auch ohne greifbares Ergebnis blieb, überrascht kaum. Denn zum einen ist die alle zehn Jahre tagende Lambeth-Konferenz rechtlich nicht bindend für die 42 Kirchenprovinzen. Zum anderen sind Anglikaner-Primas Erzbischof Justin Welby und sein Team peinlich bemüht, irgendwie Einheit zu wahren in dem eher amorphen Gebilde "Anglikanische Gemeinschaft".
"Dies ist eine der wichtigsten Sitzungen dieser Konferenz", erklärte der Erzbischof von Canterbury eingangs. Die Frage, was jeder einzelne über das Thema Sexualität glaube, sei zutiefst spaltend, "nicht nur für Anglikaner, sondern für jeden Teil von Gottes globaler Kirche". Eindringlich warb Welby um Ehrlichkeit und Verständnis der Bischöfe untereinander.
Kirche in Deutschland ringt um ähnliche Themen
Denn dass die Geistlichen, deren Mehrheit aus Ländern des globalen Südens stammt, jeweils ihren eigenen soziokulturellen Hintergrund in die Frage einfließen lassen, ob es homosexuelle Priester und Bischöfe sowie kirchlichen Segen für gleichgeschlechtliche Ehen geben sollte, liegt auf der Hand. Dass sich LGBT-Personen schon von dieser Fragestellung diskriminiert fühlen mögen, ebenso. Die katholische Kirche namentlich in Deutschland ringt gerade beim Reformprozess Synodaler Weg sowie mit Initiativen wie OutInChurch um ähnliche Themen.
Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, vor Pressevertretern in London.
Bild: ©picture alliance/empics/Victoria Jones (Archivbild)
Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby.
Welby versuchte mit seiner Einführung, die Bischöfe näher zusammenzubringen, indem er die Aufrichtigkeit und theologische Stringenz beider Lager rund um den Umgang mit LGBT-Menschen in der Kirche betonte. Eine Mehrheit der zwischen 77 und 85 Millionen Anglikaner sei zutiefst davon überzeugt, dass allein die Ehe zwischen Mann und Frau von Gott gewollt sei. Aber andere seien "nicht leichtfertig zu ihrer Idee gekommen, dass die traditionelle Lehre geändert werden muss", so der Erzbischof. "Lasst uns also nicht leichtfertig oder nachlässig miteinander umgehen", sagte Welby. "Wir sind tief gespalten. Das wird nicht bald enden", bekräftigte er. "Wir sind von Christus selbst sowohl zur Wahrheit als auch zur Einheit berufen." Für seine Rede erhielt der 66-jährige frühere Ölmanager, der seit 2013 Ehrenprimas der Anglikaner ist, Standing Ovations.
Erzbischof Thabo Makgoba, Vorsitzender der Vorbereitungsgruppe der Lambeth-Konferenz, stellte mit Blick auf das Procedere klar, dass die Bischöfe beim Aufruf zu diesem heiklen Thema nicht um mündliche, sondern nur schriftliche Rückmeldungen gebeten würden. Anträge zum Aufruf, etwa nach Einrichtung einer erzbischöflichen Versöhnungs-Kommission, sollen bei einer späteren Sitzung in der bis Sonntag dauernden Lambeth-Konferenz behandelt werden. Ohnehin sind die Bischöfe gehalten, Argumente und Gedanken anschließend mit den Gläubigen in ihren Diözesen zu diskutieren. Ebenso soll das Thema auf die Tagesordnung bei der nächsten Sitzung des Anglican Consultative Council (ACC) nächstes Jahr in Accra (Ghana) kommen.
Manche geben sich damit aber nicht zufrieden. Am Nachmittag hatten konservative Bischöfe der Global South Fellowship of Anglican Churches (GSFAC), die für 23 Provinzen vor allem aus Afrika und Asien steht, bekanntgegeben, dass sie die bei der Lambeth-Konferenz von 1998 verabschiedete Resolution erneut festgeschrieben sehen wollen. Darin wird bekräftigt, dass allein die Ehe zwischen Mann und Frau biblisch sei und dass unverheiratete Menschen auf Sex verzichten sollten. Im offiziellen Konferenz-Procedere waren sie damit nicht durchgedrungen. Deshalb bitten sie jetzt gleichgesinnte Bischöfe aus der gesamten Anglikanischen Gemeinschaft um ihre Unterstützung. Per Email sollen sie mit "Ja" stimmen.
Von S. Kleyboldt (KNA)
STANDING OVATIONS FÜR ERZBISCHOF WELBY – FORTSETZUNG FOLGT
CANTERBURY ‐ Um die Frage, ob es in der gesamten Anglikanischen Gemeinschaft homosexuelle Bischöfe und die Segnung gleichgeschlechtlicher Ehen geben soll, brodelt es seit Monaten. Auf dem Weltbischofstreffen "Lambeth-Konferenz" wurde nun darüber diskutiert.
Die Debatte beim anglikanischen Weltbischofstreffen "Lambeth-Konferenz" zum Thema Homosexualität war mit Spannung erwartet worden. Am Dienstagabend diskutierten die 650 Bischöfinnen und Bischöfe aus 165 Ländern in Canterbury über den sogenannten "Lambeth-Aufruf" zur Menschenwürde, der diese Fragen umfasst.
Dass die Veranstaltung ohne Proteste, aber auch ohne greifbares Ergebnis blieb, überrascht kaum. Denn zum einen ist die alle zehn Jahre tagende Lambeth-Konferenz rechtlich nicht bindend für die 42 Kirchenprovinzen. Zum anderen sind Anglikaner-Primas Erzbischof Justin Welby und sein Team peinlich bemüht, irgendwie Einheit zu wahren in dem eher amorphen Gebilde "Anglikanische Gemeinschaft".
"Dies ist eine der wichtigsten Sitzungen dieser Konferenz", erklärte der Erzbischof von Canterbury eingangs. Die Frage, was jeder einzelne über das Thema Sexualität glaube, sei zutiefst spaltend, "nicht nur für Anglikaner, sondern für jeden Teil von Gottes globaler Kirche". Eindringlich warb Welby um Ehrlichkeit und Verständnis der Bischöfe untereinander.
Kirche in Deutschland ringt um ähnliche Themen
Denn dass die Geistlichen, deren Mehrheit aus Ländern des globalen Südens stammt, jeweils ihren eigenen soziokulturellen Hintergrund in die Frage einfließen lassen, ob es homosexuelle Priester und Bischöfe sowie kirchlichen Segen für gleichgeschlechtliche Ehen geben sollte, liegt auf der Hand. Dass sich LGBT-Personen schon von dieser Fragestellung diskriminiert fühlen mögen, ebenso. Die katholische Kirche namentlich in Deutschland ringt gerade beim Reformprozess Synodaler Weg sowie mit Initiativen wie OutInChurch um ähnliche Themen.
Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, vor Pressevertretern in London.
Bild: ©picture alliance/empics/Victoria Jones (Archivbild)
Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby.
Welby versuchte mit seiner Einführung, die Bischöfe näher zusammenzubringen, indem er die Aufrichtigkeit und theologische Stringenz beider Lager rund um den Umgang mit LGBT-Menschen in der Kirche betonte. Eine Mehrheit der zwischen 77 und 85 Millionen Anglikaner sei zutiefst davon überzeugt, dass allein die Ehe zwischen Mann und Frau von Gott gewollt sei. Aber andere seien "nicht leichtfertig zu ihrer Idee gekommen, dass die traditionelle Lehre geändert werden muss", so der Erzbischof. "Lasst uns also nicht leichtfertig oder nachlässig miteinander umgehen", sagte Welby. "Wir sind tief gespalten. Das wird nicht bald enden", bekräftigte er. "Wir sind von Christus selbst sowohl zur Wahrheit als auch zur Einheit berufen." Für seine Rede erhielt der 66-jährige frühere Ölmanager, der seit 2013 Ehrenprimas der Anglikaner ist, Standing Ovations.
Erzbischof Thabo Makgoba, Vorsitzender der Vorbereitungsgruppe der Lambeth-Konferenz, stellte mit Blick auf das Procedere klar, dass die Bischöfe beim Aufruf zu diesem heiklen Thema nicht um mündliche, sondern nur schriftliche Rückmeldungen gebeten würden. Anträge zum Aufruf, etwa nach Einrichtung einer erzbischöflichen Versöhnungs-Kommission, sollen bei einer späteren Sitzung in der bis Sonntag dauernden Lambeth-Konferenz behandelt werden. Ohnehin sind die Bischöfe gehalten, Argumente und Gedanken anschließend mit den Gläubigen in ihren Diözesen zu diskutieren. Ebenso soll das Thema auf die Tagesordnung bei der nächsten Sitzung des Anglican Consultative Council (ACC) nächstes Jahr in Accra (Ghana) kommen.
Manche geben sich damit aber nicht zufrieden. Am Nachmittag hatten konservative Bischöfe der Global South Fellowship of Anglican Churches (GSFAC), die für 23 Provinzen vor allem aus Afrika und Asien steht, bekanntgegeben, dass sie die bei der Lambeth-Konferenz von 1998 verabschiedete Resolution erneut festgeschrieben sehen wollen. Darin wird bekräftigt, dass allein die Ehe zwischen Mann und Frau biblisch sei und dass unverheiratete Menschen auf Sex verzichten sollten. Im offiziellen Konferenz-Procedere waren sie damit nicht durchgedrungen. Deshalb bitten sie jetzt gleichgesinnte Bischöfe aus der gesamten Anglikanischen Gemeinschaft um ihre Unterstützung. Per Email sollen sie mit "Ja" stimmen.
Von S. Kleyboldt (KNA)
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Klavierspielerin2 07.03.2023 07:40
7.3.2023
GROLL AUS AFRIKA GEGEN DIE ENGLISCHE MUTTERKIRCHE
Wegen Segnungen: Spaltung der Anglikaner wird wahrscheinlicher
JOHANNESBURG ‐ Die Anglikanische Weltgemeinschaft steht erneut vor einer Zerreißprobe. Grund ist der Streit um die Segnung homosexueller Paare. Besonders Geistliche aus Afrika kehren der englischen Mutterkirche deshalb den Rücken.
Dunkle Wolken über Canterbury. So lässt sich wohl am ehesten die Stimmung in der Anglikanischen Weltgemeinschaft beschreiben, die derzeit eine neuerliche Existenzkrise durchlebt. Auslöser ist die jüngste Entscheidung der Church of England, zwar weiter an der traditionellen Ehe festzuhalten, aber gleichzeitig auch homosexuelle Paare zu segnen.
Seit Jahren streiten die 42 Mitgliedskirchen der Anglikanischen Gemeinschaft über den Umgang mit dem Thema. Allen voran konservativere Anglikaner im sogenannten Globalen Süden hegen Groll gegen die englische Mutterkirche und deren Oberhaupt, Erzbischof Justin Welby von Canterbury. Sie wollen ihn künftig nicht mehr als primus inter pares, als nominellen Anführer der Weltgemeinschaft anerkennen, wie führende Vertreter der "Global South Fellowship of Anglican Churches" Ende Februar mitteilten.
Widerstand kommt vor allem aus Afrika. Unter den zwölf Unterzeichnern der Erklärung gegen die Church of England finden sich unter anderem die Oberen des Sudan, des Kongos und der Riesen-Provinz Alexandria; sie umfasst neben Ägypten auch Äthiopien, Algerien und fünf weitere Länder Nord- und Ostafrikas. Zu Wort meldete sich auch der Primas der Church of Uganda, Erzbischof Stephen Samuel Kaziimba. In seinen Augen sind Verheiratung und Segnung homosexueller Paare ein und dasselbe. Der Mutterkirche in London wirft er deshalb vor, "vom anglikanischen Glauben abgekommen" zu sein und ihre "theologische Legitimität verloren" zu haben.
Kein "Erster unter Gleichen" mehr
Insgesamt reagierte die Global South Fellowship of Anglican Churches auf die Entscheidung der Church of England "mit großer Sorge". Durch ihre Öffnung für Homosexuelle habe sie sich disqualifiziert, die weltweit rund 80 Millionen Anglikaner als Mutterkirche anzuführen. Erzbischof Welby könne man nicht länger als "Ersten unter Gleichen" betrachten, so die Protest-Kirchen.
Maria Frahm-Arp, Religionswissenschaftlerin an der Universität Johannesburg, sieht in der Spaltung der Glaubensgemeinschaft einen "traurigen Augenblick" – wenngleich wenig überraschend: "In den vergangenen zehn Jahren gab es viel Druck auf die anglikanische Kirche, vor allem in Ländern des Globalen Nordens, gleichgeschlechtliche Paare in Kirchen von Priestern segnen zu lassen." Die Abkehr anglikanischer Mitglieder verdeutliche, "wie unterschiedlich die Ansichten und die Theologie innerhalb der Gemeinschaft geworden sind". Auf lange Sicht, so schätzt die Expertin, werde sich die Anglikanische Weltgemeinschaft wohl "in verschiedene Kirche aufspalten".
Nach Ansicht Frahm-Arps zeugt der Streit von einer wachsenden geistlichen Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Der Wunsch nach Dekolonisation habe die Kirchenspaltung beschleunigt: "Viele Menschen in Afrika lehnen es ab, Teil einer Kirche zu sein, die im Kolonialismus wurzelt und von den Kolonisatoren angeführt wird." Zu einem gewissen Grad habe die Homosexuellen-Segnung den konservativen Anglikanern einen Vorwand geliefert: Nach Jahren der schleichenden Trennung könne man es nun offiziell machen.
Eigene Liturgie und Theologie entwickeln
Und die Zukunft der neoanglikanischen Kirchen? "Ich denke, Afrikas anglikanische Kirchen können durchaus eigenständig und gut funktionieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie keine nennenswerte finanzielle Unterstützung mehr von der Church of England erhalten", sagt Frahm-Arp. Zudem könnten die unabhängigen Kirchen nach Ansicht der Expertin ihre eigene Liturgie und Theologie entwickeln. "Dadurch könnten sie eine Kirchenerfahrung schaffen, die mehr Menschen anspricht, und sie könnten genauso große Scharen von Gläubigen anziehen, wie es derzeit Pfingstkirchen in Afrika tun."
Auch für die katholische Kirche ist die Entwicklung interessant. Beispiel Uganda: Hier kritisierte der Bischof von Lira, Sanctus Lino Wanok, am Aschermittwoch den Ruf nach einer Segnung homosexueller Paare. Das komme einer "Verspottung der Kirche" gleich. Während sich Papst Franziskus kürzlich gegen eine Kriminalisierung aussprach, zählt Uganda zu den mehr als 30 afrikanischen Ländern, die Homosexualität unter Strafe stellen. Dasselbe gilt für Sambia. Dort betonte der Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz, Francis Mukosa, im vergangenen Jahr: "Homosexuelle Praktiken stellen eine kriminelle Handlung dar – und das Gesetz muss respektiert werden."
Von Markus Schönherr (KNA)
GROLL AUS AFRIKA GEGEN DIE ENGLISCHE MUTTERKIRCHE
Wegen Segnungen: Spaltung der Anglikaner wird wahrscheinlicher
JOHANNESBURG ‐ Die Anglikanische Weltgemeinschaft steht erneut vor einer Zerreißprobe. Grund ist der Streit um die Segnung homosexueller Paare. Besonders Geistliche aus Afrika kehren der englischen Mutterkirche deshalb den Rücken.
Dunkle Wolken über Canterbury. So lässt sich wohl am ehesten die Stimmung in der Anglikanischen Weltgemeinschaft beschreiben, die derzeit eine neuerliche Existenzkrise durchlebt. Auslöser ist die jüngste Entscheidung der Church of England, zwar weiter an der traditionellen Ehe festzuhalten, aber gleichzeitig auch homosexuelle Paare zu segnen.
Seit Jahren streiten die 42 Mitgliedskirchen der Anglikanischen Gemeinschaft über den Umgang mit dem Thema. Allen voran konservativere Anglikaner im sogenannten Globalen Süden hegen Groll gegen die englische Mutterkirche und deren Oberhaupt, Erzbischof Justin Welby von Canterbury. Sie wollen ihn künftig nicht mehr als primus inter pares, als nominellen Anführer der Weltgemeinschaft anerkennen, wie führende Vertreter der "Global South Fellowship of Anglican Churches" Ende Februar mitteilten.
Widerstand kommt vor allem aus Afrika. Unter den zwölf Unterzeichnern der Erklärung gegen die Church of England finden sich unter anderem die Oberen des Sudan, des Kongos und der Riesen-Provinz Alexandria; sie umfasst neben Ägypten auch Äthiopien, Algerien und fünf weitere Länder Nord- und Ostafrikas. Zu Wort meldete sich auch der Primas der Church of Uganda, Erzbischof Stephen Samuel Kaziimba. In seinen Augen sind Verheiratung und Segnung homosexueller Paare ein und dasselbe. Der Mutterkirche in London wirft er deshalb vor, "vom anglikanischen Glauben abgekommen" zu sein und ihre "theologische Legitimität verloren" zu haben.
Kein "Erster unter Gleichen" mehr
Insgesamt reagierte die Global South Fellowship of Anglican Churches auf die Entscheidung der Church of England "mit großer Sorge". Durch ihre Öffnung für Homosexuelle habe sie sich disqualifiziert, die weltweit rund 80 Millionen Anglikaner als Mutterkirche anzuführen. Erzbischof Welby könne man nicht länger als "Ersten unter Gleichen" betrachten, so die Protest-Kirchen.
Maria Frahm-Arp, Religionswissenschaftlerin an der Universität Johannesburg, sieht in der Spaltung der Glaubensgemeinschaft einen "traurigen Augenblick" – wenngleich wenig überraschend: "In den vergangenen zehn Jahren gab es viel Druck auf die anglikanische Kirche, vor allem in Ländern des Globalen Nordens, gleichgeschlechtliche Paare in Kirchen von Priestern segnen zu lassen." Die Abkehr anglikanischer Mitglieder verdeutliche, "wie unterschiedlich die Ansichten und die Theologie innerhalb der Gemeinschaft geworden sind". Auf lange Sicht, so schätzt die Expertin, werde sich die Anglikanische Weltgemeinschaft wohl "in verschiedene Kirche aufspalten".
Nach Ansicht Frahm-Arps zeugt der Streit von einer wachsenden geistlichen Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Der Wunsch nach Dekolonisation habe die Kirchenspaltung beschleunigt: "Viele Menschen in Afrika lehnen es ab, Teil einer Kirche zu sein, die im Kolonialismus wurzelt und von den Kolonisatoren angeführt wird." Zu einem gewissen Grad habe die Homosexuellen-Segnung den konservativen Anglikanern einen Vorwand geliefert: Nach Jahren der schleichenden Trennung könne man es nun offiziell machen.
Eigene Liturgie und Theologie entwickeln
Und die Zukunft der neoanglikanischen Kirchen? "Ich denke, Afrikas anglikanische Kirchen können durchaus eigenständig und gut funktionieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie keine nennenswerte finanzielle Unterstützung mehr von der Church of England erhalten", sagt Frahm-Arp. Zudem könnten die unabhängigen Kirchen nach Ansicht der Expertin ihre eigene Liturgie und Theologie entwickeln. "Dadurch könnten sie eine Kirchenerfahrung schaffen, die mehr Menschen anspricht, und sie könnten genauso große Scharen von Gläubigen anziehen, wie es derzeit Pfingstkirchen in Afrika tun."
Auch für die katholische Kirche ist die Entwicklung interessant. Beispiel Uganda: Hier kritisierte der Bischof von Lira, Sanctus Lino Wanok, am Aschermittwoch den Ruf nach einer Segnung homosexueller Paare. Das komme einer "Verspottung der Kirche" gleich. Während sich Papst Franziskus kürzlich gegen eine Kriminalisierung aussprach, zählt Uganda zu den mehr als 30 afrikanischen Ländern, die Homosexualität unter Strafe stellen. Dasselbe gilt für Sambia. Dort betonte der Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz, Francis Mukosa, im vergangenen Jahr: "Homosexuelle Praktiken stellen eine kriminelle Handlung dar – und das Gesetz muss respektiert werden."
Von Markus Schönherr (KNA)
AKTUALISIERT AM 29.07.2022
DEBATTE ÜBER UMGANG MIT HOMOSEXUELLEN IM ZENTRUM DES WELTTREFFENS
LONDON/CANTERBURY ‐ Zum Welttreffen der Anglikanischen Bischöfe kommen mehr als 650 – drei aus Afrika aber ausdrücklich nicht. Grund ist die Debatte über die Öffnung der Kirche für Homosexuelle. Ein Thema, das schon vor der Tagung für heftige Aufwallungen sorgt.
"Sie denken, es war heiß in London diese Woche? Warten Sie bis nächste Woche in Canterbury", schrieb der anglikanische Bischof John Harvey Taylor von Los Angeles vor wenigen Tagen. Damit spielte er nicht auf das Wetter an, sondern auf die 15. Lambeth-Konferenz, bei der ab Freitag 650 Bischöfinnen und Bischöfe aus aller Welt in dem südostenglischen Universitätsstädtchen zehn Tage lang gemeinsam beten, feiern, die Bibel auslegen und diskutieren.
Mit dem Diskutieren, vor allem in Sozialen Medien, haben sie längst begonnen; so lebhaft, dass sich der Konferenz-Gastgeber, Anglikaner-Primas Justin Welby, vergangenen Freitag veranlasst sah, die Bischöfe zu Besonnenheit und Einheit zu rufen. Im Zentrum steht einmal mehr die Frage nach der Priester- und Bischofsweihe für Homosexuelle sowie Segnungen gleichgeschlechtlicher Ehen, deren Handhabung in den verschiedenen Teilen der anglikanischen Weltgemeinschaft weit auseinander klafft. Anglikaner strebten danach, "Gott treu zu sein – in ihrer Übereinstimmung ebenso wie in ihren Meinungsverschiedenheiten", beschwor der Erzbischof von Canterbury die Teilnehmenden.
Diskussionen über Entwürfe
Hintergrund sind die sogenannten "Lambeth Calls" (Lambeth-Aufrufe) zu etwa zehn Themen, deren Entwürfe vor einer Woche veröffentlicht wurden und bei der Konferenz beraten werden. Die Textentwürfe sind die Frucht von Online-Gesprächen zwischen Bischöfen auf der ganzen Welt, die 2021 zur Konferenz-Vorbereitung stattfanden. "Sie wurden von einer vielfältigen Gruppe von Anglikanern entworfen – männlich und weiblich, Laien und Ordinierte, aus verschiedenen Generationen und aus jedem Teil der Gemeinschaft", so der Ehrenprimas der anglikanischen Weltgemeinschaft. Die Entwürfe seien Teil eines Prozesses, der auch nach der Konferenz fortgesetzt werde, da jede Kirchenprovinz ihre eigene Antwort auf die Aufrufe formulieren solle, versuchte Welby die Gemüter zu beruhigen.
Kritiker bemängelten vor allem das jetzt bekanntgewordene elektronische Abstimmungssystem, bei dem die Bischöfe die Aufrufe entweder annehmen oder eine weitere Diskussion fordern, jedoch nicht konkret ablehnen konnten. Ebenso wurde befürchtet, dass ein Text der Lambeth-Konferenz von 1998, der allein die Ehe zwischen Mann und Frau bibelkonform nannte, wieder volle Geltung erhält. Das wäre ein Affront gegen jene Teile der Kirche, die Homosexuellen jedes Weiheamt und jedes Sakrament öffnen wollen oder dies bereits praktizieren.
Doch die Verantwortlichen reagierten: Am späten Montagabend – viele der Bischöfe dürften bereits im Flieger Richtung England gesessen haben – kündigten sie per Pressemitteilung an, es werde nun auch die Möglichkeit einer Ablehnung der Entwürfe geben. Und: Der Textentwurf zum Thema "Menschliche Würde", in dem es um das strittige Thema Sexualität geht, werde noch einmal angepasst.
Alles spricht also für eine äußerst muntere Konferenz. Unter dem Motto "Gottes Kirche für Gottes Welt" ("God's Church for God's World" soll es um Herausforderungen der kommenden Jahre gehen: Kriege, unwägbare Entwicklungen in Wissenschaft und Technologie, klimatische und politische Unsicherheit. Dazu findet am 3. August ein Aktionstag für Klima- und Ressourcengerechtigkeit statt, zu dem sich der Kongress zum Lambeth Palace, Dienst- und Wohnsitz des Primas, nach London begibt.
Schwelender Konflikt
Insgesamt sollen die weltweit zwischen 77 und 85 Millionen Anglikaner ermutigt und bestärkt werden. Außerdem geht es um Themen wie interreligiösen Dialog, "Safe Church", also eine sichere Kirche für jeden und in allen Belangen, sowie eben um Fragen der Sexualität, die untrennbar zur Identität des Menschen gehöre, so Erzbischof Welby.
Der Konflikt schwelt spätestens seit der letzten Lambeth-Konferenz 2008: Wenige Wochen zuvor hatte US-Bischof Gene Robinson seinen Lebenspartner geheiratet; bereits seine Weihe 2003 zum ersten offen homosexuellen Bischof sorgte für Kontroversen. Dabei hatte schon die erste Ordinierung einer Bischöfin 1989 beileibe nicht alle Teile der Weltgemeinschaft erfreut.
Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, vor Pressevertretern in London.
Bild: ©picture alliance/empics/Victoria Jones (Archivbild)
"Die Anglikanische Gemeinschaft ist keine Hierarchie: Wir geben einander keine Befehle, unsere Provinzen sind autonom, aber voneinander abhängig", sagt Justin Welby, Erzbischof von Canterbury und Primas der Anglikanischen Kirche.
2008 gründeten vor diesem Hintergrund konservative Bischöfe vor allem des globalen Südens in Jerusalem die "Global Anglican Future Conference" (GAFCON). Namentlich die Primasse von Ruanda, Uganda und Nigeria, die rund 20 Millionen Anglikaner repräsentieren, sind auf Distanz. Eine offizielle Spaltung von den progressiveren Teilen der Kirche Amerikas und Europas soll dennoch verhindert werden. Sie wäre ein schmerzlicher Verlust, denn das durchschnittliche Mitglied der anglikanischen Kirche ist weiblich, Mitte 30 und aus Afrika. Nach der fast explosiven Lambeth-Konferenz 2008 beschloss man, für das nächste Treffen vom Zehnjahresrhythmus abzuweichen – durch Corona wurden daraus 14 Jahre.
Aber bindende "Beschlüsse" kann die Konferenz ohnehin nicht fällen. Dabei wäre das vor allem zur Frage nach dem Umgang mit homosexuellen Menschen "drängend", sagt Richard Gardiner, Pfarrer der anglikanischen Gemeinden in Köln und Bonn. Hier müsse die Anglikanische Gemeinschaft endlich eine Lösung finden, die den jahrelangen Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten, die die vergangenen Konferenzen überschattet haben, ein Ende bereitet, sagte Gardiner der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Homosexuelle Ehepartner nicht eingeladen
Doch um den drei afrikanischen Bischöfen goldene Brücken zu bauen, lud Welby die Bischofs-Partner aus gleichgeschlechtlichen Ehen aus; dass nun nur 480 "klassische" Ehefrauen und Ehemänner teilnehmen, scheint die Erzbischöfe Henry Ndukuba (Nigeria), Laurent Mbanda (Ruanda) und Stephen Kaziimba (Uganda) jedoch nicht zu beeindrucken: Schon die Idee, die schwulen und lesbischen Bischofs-Gatten einzuladen, zeige die schädliche Toleranz und Arroganz der Anglikanischen Kirchen im Westen.
Welby bedauerte seinerseits, dass die drei Bischöfe ihren Standpunkt nicht in Canterbury vertreten wollen. "Die Anglikanische Gemeinschaft ist keine Hierarchie: Wir geben einander keine Befehle, unsere Provinzen sind autonom, aber voneinander abhängig", umriss er ein Prinzip seiner Kirche: "Das bedeutet, dass wir uns nicht gegenseitig herumkommandieren können, und ich lobe Gott dafür."
Von S. Kleyboldt (KNA)